Katechese von Bruder Nicola Curcio vom 20. November 2016 – hier auch als pdf zum Download

Liebe Brüder und Schwestern,
in der heutigen Katechese geht es um das Charisma unseres Institutes.
Wir werden folgendermaßen vorangehen:
1. Was ist ein Charisma und was bedeutet das Wort Charisma im Zusammenhang mit einem Institut geweihten Lebens?
2. Welche Anhaltspunkte hatte Pater Pancrazio – Gründer der FGB –, die ihn gelenkt und begleitet haben in die Intuition des Charismas der FGB?
3. Wie hat Pater Pancrazio die Intuition des Charismas konkret umgesetzt in einen Lebensstil?
Dann gehen wir los:

1. Was ist ein Charisma, was bedeutet das Wort Charisma im Zusammenhang mit einem Institut geweihten Lebens?
Der Begriff „Charisma“ geht zurück auf die griechische Wurzel ‚char‘, diese Wurzel hat mit „Gunst erweisen“, mit „beschenken“ zu tun, und diese Wurzel basiert auf das Verb ‚charitesesthai‘, das „spenden“, „schenken“ bedeutet. Die Substantivierung erfolgt über das griechische Ableitungssuffix ‚ma‘, das damals zur Bildung von Hauptwörtern genutzt wurde, um das Ergebnis einer Tätigkeit zu bezeichnen – in diesem Fall das Resultat des Beschenkens. „Charisma“ bezeichnet somit eine „Gnadengabe“.
Wenn man im allgemeinen Sprachgebrauch von einem »Charisma« spricht, dann meint man oft ein Talent oder eine natürliche Begabung. Man sagt: »Dieser Mensch hat ein besonderes Charisma«, um zu sagen, dass er Ausstrahlung, Anziehungskraft besitzt.
In der christlichen Perspektive ist das Charisma jedoch weit mehr als eine persönliche Eigenschaft, eine Veranlagung, die man besitzt. Das Charisma ist nämlich eine Gnade, eine von Gott, dem Vater, durch das Wirken des Heiligen Geistes geschenkte Gabe. Und es ist eine Gabe, die einem Menschen nicht geschenkt wird, weil er besser sei als die anderen oder weil er sie verdient hätte: Es ist ein Geschenk, das Gott ihm macht, damit er sich mit derselben Unentgeltlichkeit und derselben Liebe ganz in den Dienst der gesamten Gemeinschaft stellen kann, zum Wohl aller. Menschlich gesprochen könnte man es so sagen: »Gott gibt diese Eigenschaft, dieses Charisma jenem Menschen, aber nicht für ihn selbst, sondern damit er der ganzen Gemeinschaft, der Kirche dienen kann.

Wenn wir zum Beispiel an P. Pancrazio denken, Gründer unserer Gemeinschaft, können wir nachvollziehen, wie sich das soeben Gesagte vollzogen hat:
Schon als Kind, als er in einem Stadtviertel der Stadt Bari wohnte, in den Dreißigerjahren, übte er das Charisma seiner Person auf die Kinder seines Quartiers aus. Es war nämlich folgendes üblich, wie uns Augenzeugen erzählen: Nachdem er der damalige junge Nicola Gaudioso (später P. Pancrazio), und die Kinder seines Quartiers, lange zusammen gespielt hatten, machten sie sich alle zusammen auf den Weg in die dort nächstgelegene Kirche, um mit einem Gebet den Spielnachmittag zu beenden. Schon als Kind war er ein Mensch, der Kinder angezogen und um sich geschart hat, die sich bei ihm wohlfühlten, und die er dann zum Gebet und somit zur Begegnung mit Gott geführt hat. Da sehen wir bereits, wie die drei Charakteristiken des Charismas unserer Gemeinschaft, die P. Pancrazio gegründet hat, gegenwärtig sind: nämlich die Dimension der Gemeinschaft, die Dimension der Gastfreundschaft und die Dimension des Gebetes. Seine Person hat schon seit dem frühen Kindesalter Gemeinschaft gestiftet, er hat einfach angezogen, man hat sich bei ihm aufgehoben gefühlt, und demzufolge war man bereit, auch zu beten.
Auch später als junger Kapuzinerbruder, wenngleich noch nicht Priester – P. Pancrazio wurde ja erst mit 47 Jahren Priester – , zog er unglaublich viele Menschen an, die täglich zu ihm kamen, um sich beraten zu lassen und nach Gebet zu fragen. So war er ständig umgeben von Menschen, die nach Gemeinschaft suchten, die einen Ort suchten, wo sie sich aufgehoben fühlten – Menschen, die letztendlich auf der Suche nach Gott waren.

Kurz gesagt, aus christlicher Perspektive ist ein Charisma eine Gnadengabe, die in Gott ihren Ursprung hat und durch den Hl. Geist der Kirche geschenkt wird – d.h.: den Getauften werden Gaben geschenkt für den Aufbau und das Errichten der Kirche und des Reiches Gottes überhaupt.

Von Anbeginn an hat der Herr die Kirche mit den Gaben seines Geistes erfüllt und sie so mit den Gaben des Heiligen Geistes immer lebendiger und fruchtbarer gemacht. Es handelt sich um Charismen jener Vielfalt und Art wie zum Beispiel die Gabe besonderer Fürsprache, Verwaltungsgaben, Verkündigungsgaben, Trostgaben, usw. Alle Gaben, die dem Einen dienen, dem Aufbau der christlichen Gemeinschaft und das Verbreiten des Reiches Gottes. Wie der Apostel Paulus im Ersten Brief an die Korinther im 12. Kapitel sagt, sind alle Charismen in den Augen Gottes wichtig, und gleichzeitig ist niemand unersetzlich. Das heißt, dass wir in der christlichen Gemeinschaft einander brauchen und jede empfangene Gabe sich in ganzer Fülle entfaltet, wenn sie mit den Brüdern und Schwestern geteilt wird, zum Wohl aller. Das ist die Kirche! Das sind grundsätzlich ordentliche Charismen, die jeder Getaufte besitzt, die aber nur dann zur Entfaltung gelangen können, wenn ein Gnadenleben geführt wird.

Unter all denen gibt es nun Menschen mit besonderen Gaben, Menschen, bei denen erkannt wird, dass diese Gabe ein Charisma ist, das nicht nur für sie selbst, sondern für viele andere Menschen ein Weg zur Heiligkeit, zu Gott sein kann. Dieses Charisma identifiziert sich mit einer Art Spiritualität, die in der Kirche zu einem Weg wird oder ein Bedürfnis der Zeit erfüllen kann. Meistens ist es auch so, dass dieses Charisma ein oder mehrere Aspekte des Evangeliums verwirklicht oder umsetzt. Das ist zum Beispiel der Fall bei vielen Ordensgründern oder Gründern geistlicher Bewegungen wie der Hl. Benedikt, der Hl. Franz von Assisi, der Hl. Dominikus, die Hl. Teresa von Kalkutta usw. Das ist auch der Fall von P. Pancrazio. In deren jeweiliger Spiritualität, Intuition und Werk hat die Kirche ein Charisma erkannt, dass der Verwirklichung eines oder mehrerer Aspekte des Evangeliums dient. Ein Charisma, das in dieser Zeit eine Notwendigkeit für die Kirche und die Gesellschaft war und oftmals immer noch ist. Durch die Anerkennung des Charismas des Einzelnen macht es die Kirche zu ihrem Charisma. Das bedeutet: Durch eine Regel oder durch die Konstitutionen, die die Kirche genehmigt, wird dieses Charisma, das die einzelne Person innehat und ausstrahlt, kodifiziert. Die Kirche betrachtet es als Gabe Gottes und will es durch die Anerkennung, die Kodifizierung von Konstitutionen auf-bewahren und beschützen, so dass es den zukünftigen Generationen überliefert wird.

Etwas Wichtiges, das ich gleich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass man nicht allein erkennen und verstehen kann, ob man ein solches Charisma hat. Ein Charisma wird als solches von der Kirche anerkannt, weil sie ihrerseits das Charisma der Interpretation, der Deutung, besitzt. Das geschieht in der Praxis so, dass die Kollegialität der Bischöfe, wenn Papst und Bischöfe gemeinsam eine Entscheidung treffen wie in den Fachgebieten des Glaubens, der Moral und der Ethik, das Charisma der Interpretation ausüben: Dieses ist eng verbunden ist mit dem Verwaltungsamt, das sie ausüben. Also ist deshalb auch das Stiftungscharisma eines Institutes geweihten Lebens, ein Geschenk Gottes, das die Kirche erkennen und anerkennen muss.
Nachdem wir die inhaltliche Ausrichtung des theologischen Begriffs geklärt haben, gehen wir zum zweiten Punkt:

2. Welche Anhaltspunkte hatte Pater Pancrazio – Gründer der FGB –, die ihn gelenkt und begleitet haben in die Intuition des Charismas der FGB?
Zunächst waren P. Pancrazios Leben selbst und seine Lebenserfahrung Anhaltspunkte für das Charisma der FGB. Sicherlich war auch seine Beziehung zur Muttergottes entscheidend. Schon seine Mutter hatte ihm diese Liebe zur Mutter Gottes übertragen.

Später als junger Kapuzinerbruder aus der Provinz Apulien, wurde er in die Marken, eine andere Provinz in Italien, ausgeliehen und dort im Heiligtum von Loreto eingesetzt, als Wärter des Heiligen Hauses.

Dieses Heilige Haus ist das Haus, das aus den Backsteinen des ehemaligen Hauses Marias, Josephs und Jesu gebaut worden ist. Die Legende sagt, dass in diesem Haus die Verkündigung des Erzengels Gabriel an die Jungfrau Maria stattgefunden hat. Somit hatte er dort über Jahrzehnte – 1946 bis 1967 – die Möglichkeit, auf die Empfängnis Marias durch den Hl. Geist hin ausgerichtet zu meditieren. Dieses Ereignis hat er oft zitiert als ein Beispiel für unsere Gastfreundschaft. Er sagte uns häufig, dass die Gastfreundschaft eine Folge des Empfangens des Hl. Geistes sei, sie sei die Bereitschaft, dem Hl. Geist Raum zu geben, und die Bereitschaft seinen Willen zu vollziehen.

In Loreto als Laienkapuzinerbruder hatte er Jahrzehnte lang Pilger empfangen, die bei ihm Rat suchten, sich bei ihm aufgehoben fühlten und mit ihm Zeit verbrachten, indem sie mit ihm im gemeinsamen Gebet verweilen durften.
Der erste Anhaltspunkt für die Intuition des Charismas war mit Sicherheit P. Pancrazios eigene Lebenserfahrung, und dabei sind besonders seine Beziehung zur Mutter Gottes, das Beispiel der Mutter Gottes und sein Dienst im Heiligtum von Loreto hervorzuheben.
Als zweiten Anhaltspunkt ist seine Beziehung zu P. Pio zu sehen. P. Pancrazio besuchte P. Pio, von 1950 bis 1968 etwa drei bis vier Mal jährlich in San Giovanni Rotondo.
Einmal, als er im Oktober 1959 bei ihm zu Besuch war, fühlte er innerlich das Bedürfnis, sich von P. Pio ein Lebensprogramm schenken zu lassen. P. Pio gab ihm ein solches Lebensprogramm, und das sollte seine Spiritualität künftig immer stärker prägen. So spürte er auch – vielleicht unbewusst –, dass dieses Lebensprogramm nicht nur für ihn allein ein Lebensprogramm sei. So schrieb P. Pio ihm auf einem Zettel:
„Sei nicht so auf das Beschäftigtsein Marthas bezogen, dass du darüber Marias Schweigen vergisst. Die jungfräuliche Mutter, die sowohl die eine als auch die andere Aufgabe so gut miteinander in Einklang bringt, sei für dich sanftes Vorbild und Inspiration“.

Für P. Pancrazio bedeutete dies vorerst ein Gleichgewicht zwischen kontemplativem und aktivem Leben, dann aber auch, so wie es im Haus Marias, Marthas und Lazarus in Bethanien war, einen Ort zu schaffen, wo Freundschaft und Verbundenheit mit Jesus möglich wird. Natürlicherweise war Maria von Nazareth dafür die beste Ikone.
Wie schon erwähnt, hatte P. Pancrazio seit Anfang an das Gefühl, dieses Programm von P. Pio wäre nicht nur für ihn, sondern auch für andere bestimmt. Eigentlich, so auch seine Aussagen, hatte P. Pancrazio schon als Kind, und so auch in späteren Jahren, immer wieder das Gefühl, dass der Herr ihn rufen würde, etwas Neues aufzubauen. Das wurde ihm in folgenden Lebensjahren, gerade auch durch das Lebensprogramm, das er von P. Pio erhalten hatte, immer bewusster.
P. Pancrazio, wirklich ein Heiliger, dachte andererseits auch immer sehr vernünftig. So hat er oft erzählt, er wolle nicht von sich aus, aus seinem Willen heraus wirken, sondern er bevorzuge zu warten, bis er ein Zeichen von außen bekäme, ein Zeichen von Oben. Auf diese Art und Weise hat er immer geprüft, ob die Inspirationen von ihm selber oder vom Herrn gekommen sind. Er sagte nämlich: Wenn unsere Inspirationen nicht durch äußere Zeichen bestätigt werden, dann kommen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Gott.
1979 jedenfalls erhielt P. Pancrazio dieses Zeichen: Damals war P. Pancrazio von Gebetsgruppen und vielen Laien umgeben, die er begleitete und mit welchen er sich wöchentlich traf. Sie waren zu einem Gebetstreffen zusammengekommen und saßen nach dem Gebet gemeinsam zum Abendessen zusammen.

Alles ist aus der Stille vom Hl. Haus geboren - Quelle: FGB Aschaffenburg3. Wie hat Pater Pancrazio die Intuition des Charismas konkret umgesetzt in einen Lebensstil?
Was ich im Folgenden nun sagen werde, ist grundsätzlich aus den Schriften des P. Pancrazio, insbesondere aus einer Rede von P. Pancrazio am Eröffnungstag der Gemeinschaft von Rovio, Tessin CH, am 5. Mai 2000. Ich habe den italienischen Originaltext nur ins Deutsche übersetzt, ab jetzt hören wir also P. Pancrazios Worte:
Wir beginnen, uns in unser Charisma zu vertiefen durch die evangelikale Herausforderung des Hauses Marthas, Marias und Lazarus, von welcher P. Pio uns in Maria von Nazareth eine Synthese schenkt: „Sei nicht so auf das Beschäftigtsein Marthas bezogen, dass du darüber Marias Schweigen vergisst. Die jungfräuliche Mutter, die sowohl die eine als auch die andere Aufgabe so gut miteinander in Einklang bringt, sei für dich sanftes Vorbild und Inspiration“. Welche großartige Zusammenfassung! Gastfreundschaft, Gebet und Gemeinschaftsleben sind die drei Pfeiler, die in diesem Programm eingeschlossen sind. In diesem Programm ist auch deshalb das Gemeinschaftsleben enthalten, weil die Mutter Gottes vor allem die Meisterin des Gemeinschaftslebens ist – sie, die die Seele des Familienlebens im Hl. Haus von Nazareth war.

– Das Gebet (in unserer Spiritualität, unserem Charisma)
Zunächst das Gebet. Das Gebet ist der erste Pfeiler. Denkt nicht, dass ausschließlich das Gebet grundlegend sei und die anderen Pfeiler nicht, aber das Gebet ist vor den anderen, weil alles mit dem Gebet beginnt, das Gebet geht den anderen beiden voran und gewissermaßen erzeugt es sie auch. Unser Institut hat eine Gemeinschaftsgebetszeit, die sich über den ganzen Tag ausbreitet, und die alle Formen des christlichen Gebetes einschließt. Höhepunkt und Mitte unseres Gebetes ist gewiss die Eucharistiefeier, welche schlechthin die Gebetsform der Begegnung mit Gott ist. Der Eucharistie nachfolgend praktizieren wir alle die anderen Gebetsformen, wie zum Beispiel das Stundengebet, das Beten des Rosenkranzes, die eucharistische Anbetung mit der Meditation des Wortes Gottes, das Lobpreisgebet, in der Fastenzeit das Gebet des Kreuzweges usw.
Man könnte meinen, das sei „ein bisschen von Allem“. Aber das ist nicht so. Der Grund liegt nicht in der Unfähigkeit, sich für eines zu entscheiden, sondern er beruht vielmehr auf einem klaren Entschluss: Ein jeder soll die für ihn richtige Dimension des Dialogs mit dem Geheimnis finden können.

01 - FGB-Gebet - Quelle: FGB AschaffenburgDas Gemeinschaftsgebet ist ein bevorzugter Augenblick. Es ist genau genommen in all diesen enthalten, besonders aber in der Gemeinschaftsmesse, wo sich alle Mitglieder der Fraternità sammeln, um gemeinsam Eucharistie zu feiern, so dass die Gemeinschaft errichtet wird. Denn die Gemeinschaft ist ein Werk Gottes, und nicht Werk des Menschen! Denn wir sind schließlich keine soziale Aggregation, sondern Sakrament der Trinität Liebe.
Liebe Brüder und Schwestern, vergessen wir nicht die Worte des Meisters Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Deswegen ist das Gemeinschaftsgebet die Gewährleistung für die Gegenwart Jesu, und daher besitzt sie eine höhere Kraft, um die notwendigen Gnaden zu erbitten. Schützen wir uns vor der Versuchung, sie zu unterschätzen, oder noch schlimmer, sie zu mindern.
Gewiss sollte sich gemäß unseren Konstitutionen das Gemeinschaftsgebet auf der Basis des persönlichen Gebetes gründen und auch wieder in das persönliche Gebet aller einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft münden. Ja, liebe Brüder und Schwestern, das persönliche Gebet ist nicht eine Sonderausstattung, eine Wahl der Frommsten, vielmehr ist es ein nicht zu ersetzendes Erfordernis, eine notwendige Sehnsucht, die Vollbringung des einzigen Wunsches, der unsere Seele erfüllen sollte, dass alle für und mit dem Herrn sind. Das persönliche Gebet ist die individuelle Intimität eines jeden mit seinem Geliebten Herrn. Es ist die unabdingbare Nahrung, um das Feuer der Liebe in uns zu nähren und pflegen, Feuer, das sonst dazu bestimmt ist, zu Lauheit und Schwere zu verfallen. Das Gebet ist, in seiner gemeinschaftlichen wie in der persönlichen Dimension, das Gerüst unserer Spiritualität, wie es letztlich das Gerüst für jede authentische christliche Erfahrung ist. Wenn wir uns wünschen, dass dieser mystische Leib – im paulinischen Sinn – aufrichtig bleibt, dürfen wir von diesem grundlegenden Element nicht absehen. Beten wir, beten wir ohne müde zu werden, beten wir unaufhörlich! Ich habe einmal in einer Botschaft von der Mutter Gottes gelesen, dass die Mutter Gottes sagte: „Wenn ihr müde seid, ruht im Gebet aus“. Und ich habe mich gefragt: Ist für mich das Beten ausruhend, das mit ihm sein? Wie ist das für uns, wie für euch? Eigentlich sollte das Zusammensein mit der geliebten Person kein großes Opfer darstellen, sondern ganz im Gegenteil!!!

– Die Gastfreundschaft (in unserer Spiritualität, unserem Charisma)
Der zweite Pfeiler unseres Charismas ist die Gastfreundschaft. Die Gastfreundschaft ist vor allem eine unentbehrliche Haltungsweise des Christen. Jesus ist der Zeuge schlechthin eines gastfreundlichen Gottes, eines Gottes der begegnet, der sich vermittelt und zuhört, und der sich in der gleichen Zeit zu einer vollkommenen Gabe macht und bereit ist, die Gabe des Anderen zu empfangen. Das ist der Sinn unserer Gastfreundschaft. Wir können nachvollziehen, wie Jesus in Betanien wie ein Freund empfangen wird, ein Bruder, sowie auch in dem schwierigsten und gefährlichsten Augenblick seines Amtes, auch dann, als einer der Seinen zu sein bedeutete, das eigene Leben zu riskieren.
Anderseits praktiziert in Betanien Jesus selber die Gastfreundschaft. Er empfängt die drei Freunde, Martha, Maria und Lazarus, sowohl in ihren Stärken – wie im stillen Zuhören, im Dienst und in der Freundschaft, die sie ihm boten – als auch in ihren Schwächen wie in der Gleichgültigkeit, in der Eifersucht und in der Krankheit. Die Gastfreundschaft ist die Fähigkeit, sich allen für alles bereit zu machen. Die Gastfreundschaft besteht somit in der Freiheit, sich bewusst ins Spiel zu setzen, in einer Art des Geistes der Armut – der typisch franziskanisch ist – wo man nichts zu verlieren hat, und wo man bereit ist, ohne Maske dem Anderen zu begegnen.

02 - FGB-Gastfreundschaft - Quelle: FGB AschaffenburgWir können nun sagen, dass das, was im Gebet beginnt – im Grunde das Empfangen des Geheimnisses Gottes, der sich uns wie Liebe schenkt – , sich nun verwirklicht im Empfangen des Bruders und/oder der Schwester, das ist das wahre Sakrament des Christus, die Tradition der empfangenen Liebe. Wir können anschauen, wie das ganze christliche Leben eine Erfahrung des Gebens und des Empfangens ist. „Geben“ und „Empfangen“ sind die Begriffe, die die vielfältigen Antlitze der Liebe zusammenfassen. Letztendlich drückt die Vermittlung des Geheimnisses Christi auf wunderbare Weise die Vereinigung dieser zwei Augenblicke des Gebens und des Empfangens aus: In der Menschwerdung Christi schenkt sich Gott der Menschheit, indem er unsere Schwäche empfängt. Im Tod am Kreuze empfängt Gott uns Sünder, indem er sich vollständig hingibt und an uns verschenkt. Und so ist es auch für jede authentische Erfahrung der Jüngerschaft Jesu. Die Erste unter allen ist Maria, die immer auf die Vereinigung mit dem Sohn ausgerichtet war. Deswegen hat sie sich im Empfangen des Geheimnisses Gottes ganz verschenkt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.“ (Lk 1,38), und in der gleichen Art hat sie uns in ihrem Sich-schenken unter dem Kreuz wie ihre Kinder empfangen: “Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn“. (Gv 19,26). Ja, ich glaube, das sei genau der tiefste Sinn unserer Gastfreundschaft: Gastfreundschaft als der Ausdruck der Liebe Gottes, der uns in seiner Nachfolge wachsen lässt, indem wir unsere Brüder und Schwestern empfangen und annehmen, die in Wahrheit eine Gabe des Herrn sind, und indem wir in der gleichen Zeit uns selber verschenken, ohne etwas zu verteidigen, als ob es unser unantastbares Eigentum wäre.
Meine Lieben, heute lernen wir den Hauptgrund unserer Gastfreundschaft kennen. Unsere Gastfreundschaft, die in unseren Häusern ordentlich ausgelebt wird, besteht nämlich darin, ein Ort der Spiritualität zu sein, wo man – für diejenigen, die sich dem Herrn öffnen möchten, – durch die Sakramente, durch das Gebet, im Gemeinschaftsleben, in den Freundschaften, sich eine wahre und wesentliche Begegnung mit dem Emmanuel, dem „Gott mit uns“, ermöglicht.
Das geht zunächst die an, die nach einer tieferen Erfahrung Gottes suchen, die auf der Suche sind nach Orientierung, die sich berufen fühlen, in der Gemeinschaft zu leben. Im Weiteren ist unsere Gastfreundschaft auf eine besondere Weise offen für die Priester, die sich in Schwierigkeiten befinden, die eine Krise durchleben, die müde und leer sind infolge ihrer apostolischen Pflichten, die aber die Intimität mit dem Meister wieder finden möchten durch die Teilnahme an unserem Tagesablauf.
Und zu guter Letzt, aber nicht minder bedeutend, bieten wir unsere Gastfreundschaft all denen an, die die Notwendigkeit bemerken, ihr christliches Leben zu vertiefen, die sich zurückziehen möchten von der Phrenesie des Alltags, dem alltäglichen Irrsinn, um eine Zeit lang in der Stille zu weilen, besonders wenn sie eine Weile zu Füßen Jesu vor dem Allerheiligsten bleiben möchten. Dieser Bereich der Gastfreundschaft wird zusammengefasst mit dem Begriff „geistliche Oase“, ein Begriff, den ich schon öfters prospektiert habe. Klar, unsere Gastfreundschaft ist auch ein Angebot für diejenigen, die den Sinn ihres Lebens (aus den Augen) verloren haben und danach suchen, ihre Existenz wieder aufzubauen, weil sie schlussendlich auch zu Gott rufen.
Die Gastfreundschaft entspringt aus dem Gebet, das Gebet, dass den Geliebten nach und nach in einen Liebhaber umwandelt, und sich anschließend im Gemeinschaftsleben konkret verwirklicht. Das Gemeinschaftsleben ist der bevorzugte Raum der menschlichen Beziehungen.

– Das Gemeinschaftsleben (in unserer Spiritualität, unserem Charisma)
So kommen wir jetzt zum dritten Pfeiler: dem Gemeinschaftsleben. Meine Lieben, um seinen Wert zu verstehen, wollen wir versuchen, uns einmal für einen Augenblick vorzustellen, was wären unsere Häuser ohne Gemeinschaftsleben? Was würde noch von unserer Realität (Institut geweihtes Leben) übrig bleiben? Sie wäre ähnlich einem Klub! Ein süßes Zusammensein und nicht mehr eine Schule der Heiligkeit (und Heilung).
Das Gemeinschaftsleben ist genau der erste Ort der Gastfreundschaft, ein Raum für die Gastfreundschaft. Die Gastfreundschaft sollte hier nämlich die Keimzelle des Gemeinschaftslebens sein, vor allem gegenüber und mit den Brüdern und Schwestern, die der Herr mir in den Wechselfällen des Lebens auf dem Weg zur Seite stellt, die er mir am nächsten stellt.
Aber es ist nicht nur das. Das Gemeinschaftsleben ist auch der bevorzugte Kontext für den christlichen Kampf! Kampf? Jemand fragt sich wahrscheinlich: „Was, sogar in den Klöstern befindet man sich in einem Kampf?“ Auf jeden Fall!
Aber hierbei handelt es sich um einen völlig anderen Kampf als den Kampf in der Welt. Hier geht es nicht darum, den Anderen zu überwältigen oder zu unterdrücken, sondern man kämpft mit sich selber, um den Nächsten authentisch zu lieben. Die Begegnung mit dem Bruder oder mit der Schwester ist die Bewährungsprobe der Schlüssigkeit meines christlichen Lebens, hier ist bestimmt der Ort, wo ich berufen bin, die Liebe Gottes zu verwirklichen. Das Gemeinschaftsleben ist ein Spiegel, wo ich meine Armseligkeiten sehen kann und wo ich alle Tugenden heldenhaft ausüben kann.
Meine Lieben, ist das nicht der Grund, warum Jesus mich gerufen hat und aus dem ich das Ordensleben gewählt habe? Deswegen, bitte keine andere Verwirklichung, denn das Gemeinschaftsleben ist der einzig echte und natürlichste Ort, an dem wir den seligen Kampf unserer Heiligkeit verwirklichen können. Wir müssen da aufblühen, wo Gott uns gesät hat.

03 - FGB-Gemeinschaftsleben - Quelle: FGB AschaffenburgDas Gemeinschaftsleben ist immer Unterstützung der Berufung eines jeden von uns. Wer unter uns darf sagen, er hätte schwierige Augenblicke des Ordensleben überwunden, ohne dass ihn Brüder und Schwester unterstützt hätten, die sich uns in großer Demut und im Verborgenen hingegeben haben – bloß von der reinen und selbstlosen Liebe Christi beseelt. Man sieht sie nicht, so wie man die gestaltlosen Steine nicht sehen kann, aus denen die Fundamente von Marmor- und Bronzemonumenten bestehen, die aber, wenn sie fehlen würden, das ganze Monument zum Einsturz bringen würden.
Ja meine Lieben, das Gemeinschaftsleben ist tatsächlich ein unerschöpflicher Brunnen der Gnade, nicht ohne Grund hat Jesus es bevorzugt und es in seiner apostolischen Kommunität in Kraft gesetzt. Daher ist das Gemeinschaftsleben auch das wahrhafte und glaubwürdigste Zeugnis der Schönheit unseres Glaubens angesichts unserer heutigen Welt. Ich erinnere mich oft an die Worte von Papst Paulus VI, der sagte: die heutige Zeit ist nicht Meisterbedürftig, sondern Zeugenbedürftig – und ich füge hinzu: Heute ist der Einzelne nicht mehr so glaubwürdig wie es die Gruppe, die Gemeinschaft ist. Das liegt daran, dass in der Gemeinschaft wie an keinem anderen Ort sonst die Möglichkeit besteht, jede Tugend auszuüben, vor allem die Tugend der Geduld, die Tugend der Demut und die Tugend der Abtötung des inneren Ego.
Wenn unser Gemeinschaftsleben wirklich tief von der lebendigen Gegenwart Jesu geprägt ist, dann ist das Gemeinschaftsleben die beste Art der Verkündigung der Frohen Botschaft, sowie unser Herr uns gesagt hat: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“
Meine Lieben, wir müssen nicht glauben, wir sollten wer weiß welchen Aufruf über die Liebe Gottes tun, oder wir müssten in einem weit entfernten Ort missionieren gehen, um zur Verbreitung des Reiches Gottes beizutragen. Nein, das müssen wir nicht, vielmehr besteht unsere erste Mission, unser erster Einsatz für die Evangelisierung darin, Liebe zu sein in unserem Kontext und Umfeld, wie und wo wir leben und wohnen. Das können wir in der gleichen Art tun wie die Hl. Theresia des Kinde Jesu, als sie endlich ihre wahrhafte Berufung entdeckte, in der Kirche die Liebe zu sein. Das Problem besteht meist nur darin, dass wir oft nicht an die unwiderstehliche und mitreißende Kraft der Liebe glauben. Es geht darum, fest davon überzeugt zu sein, dass nur er die Herzen berühren, umkehren und überzeugen kann. Ja, geben wir uns nicht der Illusion hin, es seien unsere Worte, die berühren, bekehren und überzeugen. Sondern machen wir uns immer bewusst, dass dies ausschließlich das Werk Gottes ist, das in besonderer Weise in der brüderlichen Liebe offenbar wird!
Das Gemeinschaftsleben ist eine enorm große Gabe Gottes, die der Herr unserer Gemeinschaft geschenkt hat, und wehe uns, wir würden sie preisgeben für persönliche Interessen, persönlichen Sorgen, für eigene Pläne. Denn – in unserer Gemeinschaft – können weder Gnade noch Segen noch Apostolat noch pastorale Aktivitäten vom Gemeinschaftsleben absehen. Auch wenn es manchmal der Einzelne ist, der sich ausdrückt, so macht er das doch immer im Namen der Gemeinschaft.

Ein Traum des P. Pancrazio
….ich muss euch ehrlich gesagt einen Traum offenbaren, der in mir verborgen ist: wie schön wäre es, wenn von den Laien, die unsere Spiritualität teilen, ein neues Aufblühen von karitativen Einrichtungen und Betreuungseinrichtungen in den verschiedenen Formen und Bereichen hervorgehen würde. Diese Einrichtungen seien dann Ausdruck des liebevollen Empfangens Gottes, der persönlich erlebt worden ist, und diese Werke würde unser Institut geistlich begleiten. Das wäre wie das Aufblühen dieser Intuition des evangelikalen Bethaniens, wo Martha Zeichen der Gastfreundschaft ist, Maria Zeichen des unaufhörlichen Gebetes, bis der Herr kommt, um zu heilen, und Lazarus die reale Ikone der Auferstehung vom Übel unserer Gesellschaft sein kann. Ich weiß nicht, ob das nur ein Traum bleibt oder Realität werden wird: Das hängt auch von jedem Einzelnen von uns ab!!!

Alles sei zu Lob und Herrlichkeit unseres Herrn Jesus und seiner und unserer süßen Mutter Maria!!