Das Gemeinschaftsleben in der Franziskanischen Gemeinschaft von Betanien
– Ist die Geschwisterlichkeit für unsere Welt notwendig?

Katechese von Bruder Nicola Curcio am 15. Januar 2017 – Das Gemeinschaftsleben in der FGBhier als pdf zum Download

 

Wir beginnen unsere Katechese wie immer mit einer Leitfrage:
Glauben wir, dass Geschwisterlichkeit bzw. Gemeinschaftsleben die tiefste Sehnsucht des Menschen ist? Dass wir uns in der ständigen inneren Öffnung gegenüber unserem Nächsten, in der ständigen Bereitschaft, dem anderen begegnen zu wollen, unsere Verwirklichung finden? Manchmal unterdrücken wir es – vielleicht auch unbewusst – weil wir vermutlich enttäuscht worden sind, oder weil wir manchmal einfach keine Lust haben, manchmal weil wir nicht daran glauben, andere Male, weil es uns zu viel kostet. Aber eigentlich sind wir dafür erschaffen worden. Nach dem Abbild Gottes erschaffen zu sein, bedeutet nämlich genau das, gerufen zu sein, sich in der Dimension der Gemeinschaft zu realisieren, wie Gott in sich Gemeinschaft ist. Das ewige Leben besteht genau darin, in Verbindung mit Gott und mit den Anderen zu sein. Ja liebe Brüder und Schwestern, im Himmel wird es keine Privatsphäre mehr geben, bei Mk lesen wir: „Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Geheimes, das nicht an den Tag kommt“. Denn alle werden in allen sein, so wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist. Das ist in anderen Worten die sogenannte „Gemeinschaft der Heiligen“, an der wir festhalten und die wir im Glaubensbekenntnis bekennen.

Deswegen ist die Übung, die am meisten unser irdisches Leben charakterisieren sollte, die, in uns die Öffnung, die Bereitschaft zu pflegen, dem Nächsten entgegenzugehen, egal wer es ist. Was wir hier auf der Erde nicht schaffen an innerer Öffnung, an innerem Empfangen des anderen, das müssen wir dann im Fegefeuer nachholen, das ist das Fegefeuer, nichts Anderes.

Damit hätten wir schon fast alles gesagt, das Gemeinschaftsleben ist nämlich unsere Berufung, weil wir für diesen Zweck erschaffen worden sind, und somit ist es eine Gabe, aber auch eine Aufgabe.

Wir werden folgendermaßen vorgehen:

  1. Auf welcher Grundlage beruht die Geschwisterlichkeit bzw. das Gemeinschaftsleben?
  2. Das Gemeinschaftsleben ist grundsätzlich eine Gabe Gottes, Gabe des Heiligen Geistes, deswegen ist es gebet- und eucharistiebedürftig.
  3. Das Gemeinschaftsleben ist auch eine Errungenschaft, ein Kampf, eine Aufgabe, ein Werk das realisiert werden sollte.

 

  1. Warum eigentlich Geschwisterlichkeit bzw. Gemeinschaftsleben?

Die Grundlage des Gemeinschaftslebens und der Geschwisterlichkeit ist Gott in seiner Wesenseinheit. Gott ist in sich Gemeinschaft, Gott ist in sich Beziehung, Geschwisterlichkeit. Gott ist in sich Familie. Das entnehmen wir von der christlichen Offenbarung des Dreifaltigen Gottes, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Aber noch tiefer, die Grundlage ist eigentlich Jesus Christus selber, die Beispielhaftigkeit seines vollkommenen Menschseins und seines „aller Bruder-Seins“.

Jesus von Nazareth, wahrer Gott und wahrer Mensch – wir könnten auch sagen: vollkommener Gott und vollkommener Mensch – offenbart uns die tiefe Wahrheit Gottes, wer Gott ist, – Gott ist in sich Liebe, d.h. Gemeinschaft-, und in der gleichen Zeit offenbart er uns, was der Mensch ist. Der Mensch ist erschaffen für diese Liebe, die Gott selber ist, bzw. der Mensch ist erschaffen für die Geschwisterlichkeit, für die Gemeinschaft.

Ist das nicht so, liebe Brüder und Schwestern: im Herzen eines jeden Menschen finden wir die Sehnsucht nach einem Leben in Fülle, zu dem ein unbezähmbares Verlangen nach Geschwisterlichkeit dazugehört, das uns in Richtung Gemeinschaft mit den anderen zieht. Eine Gemeinschaft, in der wir nicht Feinde oder Konkurrenten finden möchten, sondern Brüder und Schwestern empfangen und umarmen möchten. Begriffe wie „Solidarität“, „Geschwisterlichkeit“ können wegen des Egoismus des Menschen in unserer Gesellschaft auch einschlafen, aber das Verlangen nach Geschwisterlichkeit und Solidarität schläft nie. In unserer Gesellschaft sind oft die Bedürfnisse des Einzelnen das universelle Ziel geworden, das solidarische Denken hingegen die Ausnahme. Die Schäden, die aus dieser Denkweise hervorspringen, stehen uns jeden Tag vor Augen: Übel aller Arten, Ausbeutung, Ausnutzung, verschiedene und immer wieder neue psychische Krankheiten, Kriege, dreißig Prozent unserer westlichen Gesellschaft konsumiert Drogen oder Psychopharmaka. Das Verlangen nach Solidarität und Geschwisterlichkeit schläft nie, weil es uns tief konstituiert und bestimmt, das gehört zu unserem Menschsein.

das Seil – Zeichen der Verbundenheit innerhalb einer Gemeinschaft

Tatsächlich, die Geschwisterlichkeit ist eine wesentliche Dimension des Menschen, der eigentlich ein relationales Wesen ist. Das bedeutet so viel wie für die Liebe erschaffen zu sein. Mit anderen Worten will das heißen: erschaffen, um Bruder und Schwester zu werden. Die universelle Geschwisterlichkeit ist die radikale Änderung, die die Menschwerdung Jesu Christi verursacht hat, besonders mit seinen Tod auf dem Kreuz, durch welchen er all das, was die Menschen von Gott und was die Menschen untereinander getrennt hat, vernichtet hat. Liebe Brüder und Schwestern, unser Leben, das wir haben und mit den anderen teilen, ist die wahre Art und Weise der Liebe. Jesus selber macht es uns vor, wir hören es im Evangelium: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt, denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15, 15). Nach der Auferstehung sagt Jesus zu Maria Magdalena: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh 20,17). Weiter lesen wir auf Jesus bezogen im Hebräerbrief: „…darum scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen…“, und weiter „…Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen“ (Heb 2,12.17).

Jesus betrachtet uns als Freunde, und nach seinem Tod und der Auferstehung sind wir für ihn  Brüder und Schwestern. Er teilt mit uns, was er ist, was er tut, sein Werk, sein Leben, er teilt mit uns das, was ihm am meisten auf dem Herzen liegt: die Beziehung, die Gemeinschaft mit dem Vater. Und so macht er aus uns Kinder, Söhne und Töchter, des himmlischen Vaters.

Somit ist die wesenhafte Berufung des Menschen, des Christen, Diener der Gemeinschaft, der Kommunion zu sein, der Kultur der Begegnung. Das ist letztendlich die Kirche, diesem Zweck sollte die Kirche dienen. Der Wille der Begegnung muss unter gewissen Aspekten Vorrang vor der Beispielhaftigkeit haben, vor der christliche Belehrung überhaupt, denn diese Bereitschaft zur Begegnung ist das Vehikel, durch welches die christliche Botschaft eigentlich verbreitet und übertragen werden kann. Diese innere Bereitschaft schenkt uns die Möglichkeit, für das Reich Gottes zu wirken.

Jeder trägt seine Last und was ihn nährt.

Bruder und Schwester aller zu sein, ist nicht einfach eine süße franziskanische Idee oder Lebensperspektive, die auch von den „Grünen“ befürwortet und gefördert wird, sondern was Christus offenbart und empfohlen hatund was uns als Menschen und als Christen tief bestimmt: Wir sind berufen, diese geschwisterliche Gemeinschaft unter den Menschen und in der Kirche zu realisieren.

Das wollen wir kurz zusammenfassen: Der Grund der Geschwisterlichkeit besteht darin, nach dem Abbild Gottes erschaffen zu sein, d.h. der Mensch kann sich diese Berufung nicht selber geben, sondern er muss sie erkennen, annehmen und als Hauptaufgabe realisieren. So kommen wir zum zweiten Punkt.

 

  1. Das Gemeinschaftsleben ist grundsätzlich eine Gabe Gottes, Gabe des Heiligen Geistes, deswegen ist es gebet- und eucharistiebedürftig.

Jesus betet im Johannesevangelium mit den folgenden Worten: „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast: denn sie sollen eins sein, wie wir es sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,22-23). Dieses Gebet spricht Jesus am gleichen Abend, an dem er die Eucharistie eingesetzt hat, fast wäre dieses Gebet der Einheit und die Eucharistie eine Ganzheit. Ja, die Einheit, die Gott sich wünscht, und die Eucharistie gehören fest zusammen.

Die Kraft des Geschwisterseins und des Geschwisterlebens entspringt direkt der Dreifaltigkeit Gottes. Das heißt: diese Kraft ist nichts Anderes als die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn, deswegen muss sie vom Hl. Geist erbeten und vor allem von der Eucharistie genährt werden, weil die Eucharistie diese Gemeinschaft ist und schenkt. Somit ist die Eucharistie das Zentrum der Geschwisterlichkeit. In dieser Perspektive der Eucharistie, in der Perspektive der Einheit unter uns und der Geschwisterlichkeit, möchte ich euch einladen, einen Qualitätssprung zu vollziehen im Verständnis der Eucharistiefeier.

Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns schützen, um nicht in die Versuchung zu fallen, die Eucharistiefeier bloß wie einen privaten, intimen Gebetsmoment zu erleben, wo der Einzelne seinem Gott begegnet, das ist es bestimmt auch, aber nicht nur. Die Eucharistiefeier ist nämlich viel mehr, sie ist der bevorzugte Ort, wo die Gemeinschaft aufgebaut wird. Es ist im Grunde Jesus, es ist seine Person die wahrhaft Geschwisterlichkeit schafft und entfaltet, durch seine göttliche Präsenz in einem jeden von uns. Das ist der erste, fundamentale Grund warum Jesus die Eucharistie überhaupt eingesetzt hat.

Diese Dimension der Gemeinschaft im Verständnis der Eucharistie sollte uns immer stärker beeinflussen und bewusst sein, weil das das Ziel der Eucharistie ist.
Wir lesen im ersten Korintherbrief: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi?

Wir sind Teil des Einen …

… Teil des Leib des Herrn

Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“, (1 Kor 10, 16-17) In diesen Worten erscheint in gleicher Weise der personale und der soziale Charakter des Sakraments der Eucharistie. Christus vereint sich persönlich mit einem jeden von uns, aber derselbe Christus vereint sich auch mit dem Mann und der Frau neben mir. Und das Brot ist für mich und auch für den anderen bestimmt. So vereint Christus uns alle mit sich und uns alle untereinander, einen mit dem anderen. Wir empfangen in der Kommunion Christus. Aber Christus vereint sich in gleicher Weise mit meinem Nächsten: Christus und der Nächste sind in der Eucharistie untrennbar miteinander verbunden. Und so sind wir alle ein Brot, ein Leib. Eine Eucharistie ohne Solidarität mit den anderen ist eine missbrauchte Eucharistie. Und hier befinden wir uns an der Wurzel und gleichzeitig im Zentrum der Lehre über die Kirche als Leib Christi, als Leib des auferstandenen Christus. Es ist die Kommunion unter uns, die Christus in die Welt trägt und der Welt auch zeigt. Im Weiteren ermahnt Paulus die Gemeinschaft von Korinth, es gäbe unter ihnen Spaltungen, wenn sie zusammenkommen, um das heilige Mahl des Herrn zu feiern: „Zunächst höre ich“, sagt Paulus, „dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt. …Denn es muss Parteiungen geben unter euch; nur so wird sichtbar, wer unter euch treu und zuverlässig ist. Was ihr bei euren Zusammenkünften tut, ist keine Feier des Herrenmahls mehr“. (1 Kor 11, 18…). Was in diesen Versen hervorspringt, ist ganz offenbar der Grundgedanke, dass man nicht am heiligen Mahl teilnehmen darf, wenn unter den Teilnehmern keine Gemeinschaft vorhanden ist, weil Sinn und Zweck dieses Mahles die Gemeinschaft selber ist.

In der gleichen Zeit müssen wir zugeben, dass ohne Jesus diese Kommunion unmöglich ist. Oft höre ich im Beichtstuhl – bitte, niemand soll sich jetzt betroffen fühlen, es ist nämlich kein Urteil, sondern eine Feststellung – „ich habe unwürdig kommuniziert“, oder „ich habe nicht kommuniziert, weil ich unwürdig war“. Ich frage mich, geht das überhaupt, denn unwürdig ist man immer. Wenn „Kommunizieren“ bloß etwas für Fromme ist, dann sind alle die, die kommunizieren, Pharisäer, denn – passt auf – niemand ist würdig. Das sagen wir auch, bevor wir kommunizieren, und ich hoffe wir meinen es ernst!

Ich rede hier nicht von Menschen, die bewusst eine Todsünde begangen haben, und ganz oberflächlich und ohne Reue zu empfinden, ohne vorher die sakramentale Absolution erhalten zu haben, die heilige Kommunion empfangen. . Das ist etwas Anderes. Ich rede hier von Menschen, von Christen die regelmäßig die Sakramente empfangen, weil sie tief glauben, dass diese eine große Hilfe sind, um als Christen zu leben. Ich meine diejenigen, die sich jeden Tag Mühe geben im christlichen Kampf, mit ehrlicher und rechtschaffener Absicht die Wechselfälle des Alltags in Angriff nehmen und dann sozusagen „zufällig“ sündigen, bzw. in der Art eines Unfalles, nicht von der Absicht, sondern von den Schwächen unseres Menschseins verursacht. Wer sich in diesem Zustand befindet, muss kommunizieren, denn ohne Jesus ist es unmöglich im Glaubensleben voranzugehen. Die Eucharistie ist nämlich Nahrung, Stärkung auf dem Weg unserer Pilgerschaft, es ist ein Stärkungsmittel, die unserer Schwäche zu Hilfe kommt, wie die Medizin unserer Krankheit.

Die Kommunion empfangen ist unsere Aufgabe, weil der Herr sie für diesen Zweck eingesetzt hat, um gegessen zu werden. Ohne diese Speise ist die Gemeinschaft mit Gott und unter uns sozusagen unmöglich, weil er selber diese ist. Wie wir die Eucharistie verstehen müssen, entnehmen wir ganz einfach vom Zeichen, das Jesus sich erwählt hat für dieses Sakrament. Er verbirgt seine Gegenwart unter der Gestalt des Brotes. Wir können uns ganz einfach fragen: Zu welchem Zweck gibt es das Brot? Die Antwort ist nicht schwer: Es ist eine Speise. Das heißt:. es ist vor allem und insbesondere dazu da, um gegessen zu werden. Wenn Jesus seine Präsenz mit der Gestalt des Brotes verbindet, in dem Sinn, dass das Brot seine Gegenwart wird, ist die Absicht offenbar: Das Brot ist an erster Stelle dazu da, gegessen zu werden, und nicht um angeschaut und angebetet zu werden. Das machen wir selbstverständlich auch, ihn anschauen und anbeten, aber nur an zweiter Stelle (klar, sie schließen sich nicht aus). Jesus ist mit uns geblieben, in der Gestalt der Eucharistie vor allem, um empfangen zu werden.

Wir hören im Johannesevangelium: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“. Liebe Brüder und Schwestern, das ist die Gemeinschaft mit dem Vater und unter uns, das bedeutet, dass Jesus in uns bleibt. Das ist der Zweck der Eucharistie: empfangen zu werden, um lebendige Tabernakel zu sein mitten in der Welt, Jesus in die Welt bringen, ihn unter den Menschen lebendig machen, die Wirklichkeit Jesu sichtbar machen. Deswegen ist der Tisch des Altars, das Hl. Mahl, dem Tabernakel überlegen, deswegen wurde der Altar nach dem Kirchenverständnis des II. Vatikanischen Konzils in die Mitte gestellt: weil Christus uns alle ruft, ihn zu essen und so lebendige Tabernakel zu werden durch die Speise, die er selber ist. Wir möchten hier nicht die Anbetung deklassieren, herabsetzen, aber ihr den richtigen Platz geben. Das Christentum könnte ohne Anbetung überleben, aber bestimmt nicht ohne die Eucharistie zu empfangen.

Die Eucharistie empfangen bedeutet „Kommunikant“ sein, d.h. „Teilnehmend“ sein, Christ sein bedeutet grundsätzlich an Christus teilnehmen, an ihm teilhaben, durch das Christus-Essen: „Nehmt und esst alle davon“, das ist ein Imperativ, ein Befehl. An Christus teilnehmen ist die Bedingung, um Christ zu sein, egal wer, Italiener wie Deutsche, Gebildete wie Ungebildete, alle werden zu Christus erhoben, nicht dass unsere persönlichen Identitäten vernichtet werden oder ineinander fusioniert, sondern alle werden zum gleichen Rang Jesu Christi erhoben.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist die Logik und der Sinn unserer Gemeinschaft, Jesus macht uns Eins, indem wir an ihm teilnehmen. Das heißt: die Gemeinschaft unter uns ist uns nicht gegeben und nur davon abhängig, dass wir  gleicher Meinung seien, z.B. weil wir alle zu Rom „ja sagen“, bzw. weil wir alle mit dem Lehramt der Kirche einverstanden sind – das ist schon sehr gut, aber es ist noch lange nicht alles, um in der Gemeinschaft der Kirche zu sein –, sondern weil ich Kommunikant bin. Mit anderen Worten, weil ich mich als Teil des Leibes Christi erkenne, was so viel heißt wie erkennen, dass auch die anderen Teil dieses Leibes sind. Noch mehr, Christ sein bedeutet den Wahrheiten unseres Glaubens zuzustimmen und dem anderen, der Teil Christi ist, zuzustimmen, unsere Beziehungen sollten nicht mehr rein menschlich betrachtet werden, sondern in dieser Perspektive des Leibes Christi müssen sie zu der Dimension, zum Rang Jesu Christi erhoben werden, so wie auch unsere Personen zum Rang Christi erhoben worden sind.

Das ist in etwa, was wir in einer besonderen Form durch unser Gemeinschaftsleben in der FGB zu verwirklichen uns Mühe geben. In der Theorie ist alles so erleuchtend, und fast zauberisch, aber in der Praxis merken wir, dass es manchmal schwierig ist, weil wir dabei mit den Schwächen und der Unvollkommenheit des Anderen in Kontakt kommen, aber – aufgepasst – auch mit unseren eigenen. Damit kommen wir zum dritten Punkt:

 

  1. Das Gemeinschaftsleben ist auch eine Errungenschaft, ein Kampf, eine Aufgabe, ein Werk, das realisiert werden sollte.

Liebe Brüder und Schwestern, gewiss ist die Form unseres Gemeinschaftsleben als Institut des geweihten Lebens nicht für alle bestimmt. Aber gewiss sind wir alle gemäß unserem Lebensstand und Berufung dazu gerufen, ein Gemeinschaftsleben zu führen, Geschwisterlichkeit zu stiften, da wo wir leben und wirken. Denn das ist unsere Berufung, unsere Vollendung, Bruder und Schwester aller zu werden. Das werden wir im Himmel sein, Jesus sagt im Lukasevangelium: „Nur in dieser Welt heiraten die Menschen. Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, werden dann nicht mehr heiraten. Sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung Kinder Gottes geworden sind“ (Lk 20,34-36). Das heißt so viel, dass wir im Himmel alle untereinander Brüder und Schwester sein werden. Deswegen ist die Dimension der Gemeinschaft für alle das Ziel, nicht nur für uns Ordensleute. In diesem Hinblick wollen wir uns jetzt gewisse Aspekte des Gemeinschaftslebens, bzw. Aspekte, die das Gemeinschaftsleben aufbauen, anschauen, weil es genau darum geht: Gemeinschaftsleben muss man auch aufbauen, es ist nämlich Gabe und Aufgabe.

Ich werde mich zu diesem Zweck eines Schreibens des P. Pancrazio bedienen, in dem er gewisse Eigenschaften vermerkt, die notwendig sind, um Gemeinschaft zu schaffen, um die Gemeinschaft zu errichten. Klar, diese sind vor allem an die Mitglieder der Gemeinschaft gerichtet, aber ich glaube, dass wir sie in jedem Lebensstand anwenden können. Ich habe einfach die Grundlage des Schreibens benutzt, sie aber angepasst und neu verarbeitet.

Die erste Eigenschaft, die Pater Pancrazio als notwendig nennt, um Gemeinschaft aufzubauen, ist das „Zuhören“. Das Zuhören stiftet Gemeinschaft, die Liebe beginnt mit dem Zuhören. Auch Gott macht das mit uns. Jedes Mal, wenn Gott uns sein Wort schenkt, das heißt wenn wir uns manchmal von seinem Wort besonders getroffen fühlen, dann ist es meistens eine Antwort auf unsere Anliegen. Als würde er uns zuerst zuhören, ernst nehmen, beachten, merken, dass wir da sind. Das ist eine Grundbedingung des sich geliebt fühlen, sich geachtet fühlen. Oft vergessen wir Christen, dass der Dienst des Zuhörens wichtiger ist als der Dienst des Redens. Viele suchen ein Ohr, das bereit ist zuzuhören unter den Christen, aber finden leider oft Menschen, die immer reden, auch wenn sie zuhören sollten. Wer nicht fähig ist, dem Bruder, der Schwester zuzuhören, wird früher oder später auch nicht mehr fähig sein, dem Herrn zu gehorchen. Denn auch vor Gott wird er nur noch reden. Er wird so im Soliloquium, im Selbstgespräch, sterben und in ihm wird Gebet nicht mehr stattfinden, das Gebet ist nämlich Colloquium, Gespräch. Genau da beginnt der Tod des geistlichen Lebens, das zuletzt zu einem unnötigen Quatschen führt. Wer nicht lang und geduldig zuhören kann, wird auch nicht fähig sein, wahrhaft an den Anderen seine Worte zu wenden, denn er endet darin, dass er nicht einmal mehr merkt, dass jemand vor ihm steht. Wer meint, die Zeit wäre zu wertvoll, um sie dafür einzusetzen, den Anderen zuzuhören, der wird nie wirklich Zeit für Gott und den Anderen haben, sondern er wird die Zeit nur für sich selber und für die eigenen Pläne nutzen, letztendlich, um sich selber zu gehorchen. Vergessen wir nicht, so wie wir unserem Bruder zuhören, so werden wir auch dem Herrn zuhören.

An zweiter Stelle kommt das „Unterstützen des Anderen“. Der Hl. Paulus sagt: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2). „Tragen“ – so P. Pancrazio – bedeutet „Ertragen“. Der Bruder, die Schwester, sie sind für den Christen, eine Last. Für den Heiden stellt der Nächste keine Last dar, weil er ihn nichts angeht, aber der Christ muss die Last des Bruders tragen. Er muss den Bruder und die Schwester ertragen, erst wenn Bruder und Schwester wie eine Last wahrgenommen werden, ist der andere für mich wirklich wie ein Bruder oder Schwester und nicht wie ein Gegenstand, den ich dominieren darf. Die Last der Menschen war schwer auch für Gott selber, der deswegen das Kreuz auf sich genommen hat. Indem unser Herr die Menschen ertragen hat, hat er unter ihnen Gemeinschaft gestiftet. Das ist das Gesetz Christi, das er am Kreuz vollzogen hat. An diesem Gesetz haben die Christen die Möglichkeit teilzunehmen. Genau hier realisiert sich die Kommunion des Leibes Christi. Das ist die Gemeinschaft des Kreuzes, in der einer die Last des anderen trägt. Es reicht, wenn man ein bisschen Liebe hinzufügt, und alles wird erträglicher.

Was ist dann das, was wir vom anderen wie eine Last wahrnehmen? Grundsätzlich ist es seine Freiheit. In der Freiheit des anderen sind wesentlich Besonderheiten, Veranlagungen, Schwäche und die Extravaganz einge­schlossen, die unsere Geduld auf die Probe stellen. Auch wird alles, was Zustände von Gereiztheit und Anspannung, Kontraste und Konflikte auslöst, in die Freiheit des anderen mit hineingezogen. Die Freiheit des anderen, mit all dem, was wir soeben gesagt haben, stößt gegen unseren Machtinstinkt. Jetzt kommt es drauf an: meistens ist es so, dass derjenige, welcher im Kontext mehr Macht besitzt, die Freiheit des anderen durch Gewalt, –manchmal ist es arrogante Gewalt, manchmal eine ganz feinfühlige und subtile Gewalt – beschränkt, um den anderen zu seinem eigenen „Abbild“ zu machen. Wenn wir aber im anderen das Abbild Gottes erkennen und demzufolge auch dessen Freiheit, dann sind wir bereit, unsererseits die Last des anderen zu ertragen. Die Last, die der eine trägt, bedeutet für den anderen, die Freiheit seines Geschöpfseins auszuleben.

Von hier kommen wir zur dritten Eigenschaft: die „Zurechtweisung“. Ein sehr schwieriges und heikles Thema.

Wie sieht es dann aus, wenn der andere seine Freiheit missbraucht, wenn er durch seine Freiheit sündigt. Das ist das Schwierigste, die Sünde des anderen zu ertragen, noch viel mehr als die bloße Freiheit. Denn die Sünde verletzt die Gemeinschaft, die durch Jesus zwischen uns entstanden ist. Nur hier offenbart sich die Größe der Wirksamkeit der Gnade Gottes in uns, im Ertragen dieser Last. Daher ist es wichtig, den Sünder nicht zu verachten, sondern in der Bereitschaft zu weilen, ihn zu ertragen. Denn nur in dieser Bereitschaft des Herzens besteht die reale Möglichkeit, diese Gemeinschaft mit ihm nicht als verloren zu betrachten, sondern zu hoffen, dass man mit ihm in Gemeinschaft bleibt durch das Erlassen der Schuld, durch die Versöhnung. Der Hl. Paulus sagt uns: „Wenn einer sich zu einer Verfehlung hinreißen lässt, meine Brüder, so sollt ihr, die ihr vom Geist erfüllt seid, ihn im Geist der Sanftmut wieder auf den rechten Weg bringen“ (Gal 6,1). So wie Christus uns getragen hat und uns in unserer Wirklichkeit von Sündern empfangen hat, so müssen auch wir die anderen tragen.

Nur wenn wir in Gemeinschaft mit ihm bleiben, werden wir die Fähigkeit besitzen, die Sünder zu empfangen. Was uns beseelen muss, ist die Liebe Christi.Auch wenn wir zurechtweisen müssen, muss es immer die Liebe Christi sein, die uns tatsächlich dazu bewegt. Wenn jemand dem Dienst des Zuhörens treu ist, der alltäglichen Hilfe, des Ertragens, dann kann er auch den Dienst des Zurechtweisens erfüllen als Förderung des Wortes Gottes.

Trotzdem ist dieser Dienst von unzähligen Gefahren umgeben. Wenn dem Zurechtweisen nicht das vollständige Zuhören vorangegangen ist, dann kann es nicht das richtige Wort für den anderen sein. Wenn dieses Wort des Zurechtweisens im Widerspruch steht zu der realen Bereitschaft zu helfen, ist dieses Wort nicht glaubwürdig und wahrhaft. Wenn dieses Wort nicht auf dem (Er)Tragen gründet, sondern auf der Ungeduld und auf dem Geist des Machtmissbrauches, wird es bestimmt nicht Heil und Befreiung bewirken. Sondern ganz im Gegenteil: Spaltung!

Oft kostet es viel, dieses Wort dem Nächsten zu wenden, man hat fast Angst, man könnte ihn verletzen. In dieser Dynamik ist etwas Richtiges und etwas Falsches dabei. Wer darf es sich erlauben, die Privatsphäre des anderen zu betreten? In der Tat, hat der andere das Recht, die Verantwortung und die Pflicht sich gegen unerlaubte Einmischungen zu verteidigen. Trotzdem ist diese Überzeugung auf gefährliche Weise sehr nahe dem mörderischen Wort des Kains: „Bin ich etwa der Hüter meines Bruders?“ (Gen 4,9). Der Respekt der Freiheit des anderen, der scheinbar auf geistlichen Grundlagen ruht, kann in das Risiko des göttlichen Fluches münden. Wir hören im Buch Ezechiel: „Wenn ich zu einem, der sich schuldig gemacht hat, sage: Du musst sterben!, und wenn du ihn nicht warnst und nicht redest, um den Schuldigen von seinem schuldhaften Weg abzubringen, damit er am Leben bleibt, dann wird der Schuldige seiner Sünde wegen sterben; von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut.“ (Ez 3,18).

Die Beispielhaftigkeit ist notwendig, sie ist aber nicht ausreichend. Das Wort Gottes befiehlt uns auch, die Worte zu benutzen: „Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht“ (Mt 18,15). Je mehr wir lernen die Zurechtweisungen der anderen in Demut und Dankbarkeit zu annehmen, auch wenn das manchmal hart oder übertrieben scheint, umso mehr wächst in uns die Fähigkeit, die anderen frei und passend zurechtzuweisen. Wer seinerseits das Wort des anderen ablehnt, weil er gestresst ist von der Reizbarkeit und von der Eitelkeit – die eigentlich immer Symptome der Unsicherheit sind – , der wird auch nicht fähig sein, anderen die Wahrheit zu sagen, weil eine eventuelle Ablehnung für ihn eine Beleidigung wäre.

Wer aufbrausend ist, neigt seinem Bruder zu schmeicheln, ihn zu verachten und zu verleugnen, wer eitel ist, neigt dazu, seinem Bruder keinen Platz zu geben und so ihm die Möglichkeit zu verweigern, sich entfalten zu können. Wer demütig ist und sich an die Wahrheit hält, wird sich dem Bruder mit Zurechtweisung zuwenden ohne Angst für sich selber und nur mit der einen Absicht, dem Bruder helfen zu wollen. Es gibt nichts Schlimmeres als jene Nachsicht, die den anderen der Sünde überlässt. Und nichts Barmherzigeres als jene Zurechtweisung, die den Bruder von dem Weg der Sünde zurückholt: „Wer einen Sünder, der auf Irrwegen ist, zur Umkehr bewegt, der rettet ihn vor dem Tod und deckt viele Sünden zu“ (Jak 5,20). Wichtig ist, dass man darin gefördert wird, den Bruder wegen seiner Sünde zurechtzuweisen, sozusagen was ihn an einer realen Gemeinschaft mit Gott und mit seinem Nächsten hindert, nicht was mich stört oder nervt, oder was von ihm mein Leben unbequem macht.

Die vierte und letzte Eigenschaft, die Pater Pancrazio schildert, ist die „Autorität“. „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43-44). Jesus verbindet jede Autorität mit dem Dienst an der Gemeinschaft. Es entsteht wahrhafte Autorität nur dann, wenn sich der Dienst des Zuhören, des Unterstützens und der Verkündigung des Wortes verwirklicht. Eine authentische Autorität weiß sich genau an das Wort Jesu gebunden zu sein: „Ihr aber sollt euch nicht Meister nennen lassen, denn nur einer ist der Meister, ihr alle aber seid Brüder“ (Mt 23,8). Als der Hl. Franziskus zum ersten Mal diese Worte las, blieb er total fasziniert und wollte alle Bruder und Schwester nennen, die ihm nachgefolgt sind. Franziskus ließ sich immer „Bruder Franziskus“ nennen, weil dieses „Bruder sein“ seine Mission offenbarte, die Beziehungen in Demut zu heilen. Deswegen wollte er auch nie Priester werden, weil er dieser Berufung, Bruder zu sein, mehr zur Geltung bringen wollte.

Es gibt nichts Verderbliches für die Dimension der Geschwisterlichkeit, als jemand, der sich über die anderen stellt, und sie von oben nach unten anschaut. Das entspricht nicht der göttlichen Pädagogie, diese ist hingegen: „er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen“ (Phil 2,6). So müssen auch wir lernen, unsere Brüder und Schwester zu begleiten und manchmal sich selber begleiten zu lassen, sich gegenseitig zuhören, unterstützen und zurechtweisen!!!

Wenn unser Gemeinschaftsleben wirklich von der lebendigen Gegenwart Jesu geprägt ist, dann ist das Gemeinschaftsleben die beste Verkündigung der Frohen Botschaft, sowie unser Herr uns gesagt hat: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“.

Meine Lieben, wir müssen nicht glauben, wir sollten wer weiß welchen Aufruf über die Liebe Gottes tun, oder wir müssten in einem weit entfernten Ort missionieren gehen, um an der Verbreitung des Reiches Gottes beizutragen, weil unsere erste Mission, unser erster Einsatz bezüglich der  Evangelisierung ist, Liebe zu sein im Kontext und Umfeld, wo wir leben und wohnen. Das Problem besteht darin, dass wir oft nicht an die unwiderstehliche und mitreißende Kraft der Liebe glauben. Es geht darum, fest überzeugt zu sein, dass nur ER die Herzen berühren, umkehren und überzeugen kann. Ja, fallen wir nicht in die Illusion, es seien unsere Worte die berühren, bekehren und überzeugen, sondern machen wir uns bewusst, dass dies ausschließlich das Werk Gottes ist, das besonders offenbar wird in der brüderlichen Liebe.

 

 

Katechese von Br. Nicola Curcio am 15. Januar 2017