Die franziskanische Spiritualität und die Franziskanische Gemeinschaft von Betanien

Katechese von Bruder Alberto Onofri vom 9. Oktober 2016

 

Höchster, glorreicher Gott,
erleuchte die Finsternis meines Herzens
und schenke mir rechten Glauben,
gefestigte Hoffnung und vollendete Liebe.
Gib mir Herr
das [rechte] Empfinden und Erkennen,
damit ich deinen heiligen
und wahrhaften Auftrag erfülle.
Amen.

 

Liebe Brüder und Schwestern,

willkommen zu unserer zweiten Katechese über die franziskanische Spiritualität in der Franziskanischen Gemeinschaft von Betanien.

Das Thema wird sich uns durch die drei folgenden Fragen erschließen:

  • Wer war Franziskus von Assisi?
  • Worin besteht die Franziskanische Spiritualität?
  • Was bedeutet es für die FGB, Franziskaner zu sein?
Wer war Franziskus von Assisi?

1181 wird Franziskus als Sohn von Pietro di Bernardone und Madonna Pica in Assisi geboren. 1202 findet der Krieg zwischen Assisi und Perugia statt, in dem Franziskus als Ritter mitkämpft. Ab 1202/1203 war er für ein Jahr Gefangener im Kerker von Perugia. Von seinem Vater wird er aus der Gefangenschaft befreit. 1204 leidet Franziskus schon lange unter einer schweren Krankheit. Ende 1204 beginnt er seine Reise nach Apulien, um mit Gualtiero von Brienne in Palästina zu kämpfen. Sein Biograf Thomas von Celano erzählt: „Er machte sich mit Eifer auf den Weg und wurde, in Spoleto angekommen, krank. “Als er eingeschlafen war, hörte er jemand im Halbschlaf, der ihn fragte, wohin er ziehen wolle. Daraufhin enthüllte ihm Franziskus sein ganzes Vorhaben. Jener aber fügte hinzu: ‚Wer kann dir Besseres geben, der Herr oder der Knecht?‘ Als er aber erwidert hatte: ‚Der Herr‘, sprach er zu ihm abermals: ‚Warum also verlässt du statt des Knechtes den Herrn und statt des Hörigen den Fürsten?‘ Und Franziskus sagte: ‚Was willst du Herr, dass ich tun soll?‘ ‚Kehre zurück in dein Land‘, sprach jener, ‚und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst; denn das Traumgesicht, das du gesehen hast, musst du anders verstehen.´“ (Celano, 2.Lebensbeschreibung K2.n.6) Daher kehrt er wieder nach Assisi zurück, und es beginnt sein Bekehrungsprozess.

Im Juni 1205 feiert Franziskus das letzte Fest mit seinen Freunden. In dieser Zeit erfährt er die Begegnung, die sein Leben für immer verändern wird: die Begegnung mit dem Aussätzigen. In dieser Erfahrung wurde Franziskus definitiv von Jesus bekehrt.

Im Herbst 1205 wird Franziskus in der kleinen Kirche von San Damiano nicht weit weg von Assisi eine besondere Erfahrung machen:Kreuz San Damiano - der Auferstehende Das Kruzifix von San Damiano spricht zu Franziskus „Es rief ihn beim Namen und sprach `Franziskus, geh hin und stell mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist`“ (Celano, 2.Lebensbeschreibung K5.n.10). Zuerst versteht Franziskus, dass er die kleine Kirche reparieren solle. Erst später wird er verstehen, dass Jesus mit dem Haus die Kirche als das Volk Gottes meinte.

1206 im Januar oder Februar wird Franziskus von seinem Vater vor den Bischof Guido von Assisi gebracht, damit der Bischof Franziskus richtet und mahnt, denn Franziskus hatte alle Stoffe des Vaters verkauft und das Geld den Armen geschenkt.  Franziskus sagte: „Von nun an will ich frei sagen: Vater unser, der du bist im Himmel, nicht mehr Vater Pietro di Bernardone, dem ich nicht nur – schaut her! – sein Geld zurückerstatte, sondern auch alle meine Kleider. So werde ich nackt dem Herrn entgegen gehen.“ (Celano 2.Lebensbeschreibung K7. n.12)

1206 verlässt Franziskus das Haus seines Vaters und beginnt im Frühling 1206 sein Leben als Büßender in einem benediktinischen Kloster.

Am 24 Februar 1208, dem Fest des Hl. Apostels Matthias, hört er das Evangelium: „Geht aber und predigt […] Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.“ (Mt 10,8-10) Deshalb trifft er die Entscheidung, eine grobe Kutte anzuziehen und ohne Sandalen barfuß zu gehen. Er beginnt zu wandern und das Evangelium zu verkünden.

Am 16 April 1208 fragen ihn Bernardo von Quintavalle und Pietro Cattaneo, seine besten Freunde in der Welt, ob sie mit ihm zusammenleben können. Die erste Brüderschaft beginnt in Rivotorto.

Im Winter 1209-1210 geht Franziskus nach Rom, um seine Lebensregel von Papst Innozenz III. anerkennen zu lassen. Die neue Gemeinschaft hat sich zu dieser Zeit schon stark vergrößert, und es beginnt offiziell eine neue Ordensgemeinschaft.

Am 5. Mai 1217, es war Pfingsten, werden beim Generalkapitel die ersten Mitbrüder in die Länder jenseits der Alpen geschickt, nach Frankreich und Deutschland.

Zwei Jahre später trifft Franziskus am 24 Juni 1219 die Entscheidung, in das Heilige Land zu reisen und geht an Bord eines Schiffes. Im Herbst 1219 findet die berühmte Begegnung zwischen Franziskus und dem Sultan Melek-el-Kamel statt.

Armut in der Krippe im Stall - Darstellung in GreccioIn der Nacht vom 24. zum 25. Dezember 1223 lässt Franziskus die erste Weihnachtskrippe in Greccio aufbauen und Jesu Geburt darstellen. Er möchte das ,,Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und (…) möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar (und begreifbar) als möglich mit eigenen Augen schauen.
(Cfr. Celano 1. Lebensbeschreibung K.30. n.84)

Am 14.-15. September 1224, am Fest der Verehrung des Kreuzes auf dem Berg La Verna, sieht Franziskus nach 40-tägiger Fastenzeit bei seinem Gebet in einer Erscheinung den gekreuzigten Serafim und empfängt dabei die Wundmale Christi. Franziskus' Stigmatierung - Santuario La Verna

Der Heilige Bonaventura sagt: „Nachdem die wahre Liebe Christi also den Liebenden in das Bild des Geliebten umgestaltet hatte, vollendete er die vierzig Tage.“ (Bonav. Leg. Maior K. 13. n.5)

Zwischen April und Mai 1225 diktiert Franziskus, schon erblindet, bei der Kirche San Damiano den Sonnengesang.

Am 3. Oktober 1226, durch verschiedene Krankheiten gezeichnet, stirbt Franziskus in dem Porziunkula-Kirchlein bei Assisi.

Woraus besteht die Franziskanische Spiritualität?
  1. Leben und Buße: Der Anfang von Franziskus‘ Bekehrung

Die Bekehrung des Franziskus war ein langer Prozess. Jesus hat ihn – den Bekehrungsprozess – durch verschiedene Erfahrungen bewirkt. Wir könnten sagen, dass Franziskus Ikone oder Verkörperung unseres zeitgenössischen Menschen war. Wir hören immer wieder Bekehrungsgeschichten, die ganz ähnlich der Franziskus-Geschichte sind. Jesus hat ihn in seiner menschlichen Natur verändert. Wie der Heilige Paulus sagt, hat Jesus ihn von einer fleischlichen Art und Weise zu leben in eine geistliche Lebensweise geführt. Was Franziskus in seinem Testament sagt, ist erleuchtend: ,,Denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt.“ Testament 1-3

  1. Jünger (Schüler) des Evangeliums: lesen „sine glossa“ ohne Auslegung“

Nachdem Franziskus sein Büßerleben begonnen hatte, verstand er, wie wichtig das Evangelium als Buch des Lebens ist. Evangelium lesenDas Evangelium besteht nicht nur aus Worten, sondern es ist Jesus selbst, der durch das Evangelium spricht und der durch die Kraft des Heiligen Geistes Franziskus‘ Herz anspricht. In seiner Ära hat man in einer ganz sinnbildlichen Weise das Evangelium ausgelegt. Franziskus aber geht direkt zurück zum Evangelium ohne metaphorische und allegorische Auslegungen, die die Kraft des Heiligen Geistes im Evangelium entkräften. Deshalb hat er auch immer die Mitbrüder ermahnt, sie sollen ohne besondere Erklärung und einfältig das Evangelium und die Regel lesen.

  1. Franziskus in der Nachfolge Jesu: Armut, Einfachheit und die vollkommene Freude

Am 24. Februar 1208 hört Franziskus bei der Messe das Evangelium, in dem Jesus die Jünger in Armut und Einfachheit in die verschiedenen Dörfer schickt, damit sie das Reich Gottes verkünden. Franziskus fühlt sich von diesem Evangelium berührt und angesprochen. Seine Antwort kommt sofort: er beginnt in die Dörfer zu gehen, um das Evangelium in Armut und Einfachheit zu verkünden. Die Früchte seiner Konsequenz und seines Glaubens sind sofort erkennbar: die Freude des Heiligen Geistes und die Demut. Wir stellen uns eine Frage: Warum drängt Franziskus darauf in Armut zu leben? Weil er verstanden hat, dass Jesus in Armut und Einfachheit gelebt hat und seine Liebe für Jesus bewegt ihn, so wie Jesus zu leben. Franziskus hat auch einen zweiten Grund, um arm zu leben: die Freiheit des Herzens. Als Sohn eines reichen Kaufmanns hatte er schon erfahren, wie oft und wie schnell Reichtum jemanden zum Sklaven machen kann. Er bemerkte auch, wie wichtig in der Gemeinschaft die Armut ist, die die Liebe der Brüderschaft aufbaut. Wir sind eigentlich dann Brüder und Schwestern in der Gemeinschaft, wenn wir alles teilen.

  1. Franziskus und das Gebet: eine Sache des Herzens

Ein anderer wichtiger Teil der franziskanischen Spiritualität ist das Gebet. Franziskus wurde von Jesus im Gebet erobert und verändert. Franziskus' Gebet im Wald - Convento di MontecasaleCelano beschreibt das Franziskus-Gebet, die Art wie Franziskus betete, im folgenden Text:
,,Wenn er aber in Wäldern und einsamen Orten betete, erfüllte er das Gehölz mit Seufzen, netzte den Boden mit Tränen, schlug sich mit der Hand die Brust.“ (Celano 2. Lebensb. K.61. n.95)

Franziskus war immer wachsam und versuchte immer, mit Jesus in seinem Herzen eins zu bleiben. Er war sehr hellhörig für den Besuch des Heiligen Geistes. Wenn er fühlte, dass Jesus durch den Heiligen Geist spürbar war, versuchte er sich zurückzuziehen und in der Stille zu bleiben.

  1. Franziskus und die erste evangelische Brüderschaft: alle Kinder des Gottes des Vaters und Brüder des erstgeborenen Sohnes Gottes: Jesus Christus

Franziskus begann, Jesus nachzufolgen, und Jesus gab ihm Brüder. Franziskus - in der Liebe JesuAuf diesen Prozess hin hat Franziskus seine Brüderschaft gegründet. Jesus ist der erste Bruder, der andere Brüder ruft, damit sie ihre Liebe füreinander in der Welt leben und die Glaubwürdigkeit des Evangeliums bezeugen. Franziskus hat immer wahrgenommen, wie wichtig für ihn die Brüderschaft als Ort der Anwesenheit Jesu war. Oft hat er geschrieben Mt 18, 20 (Zitat: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“). Franziskus glaubte immer fest an diese Worte Jesu. Ein anderer wichtiger Wert war die Gleichheit unter den Brüdern. Als Franziskus gelebt hat, waren die verschiedenen gesellschaftlichen Unterschiede sehr groß. Bei den Benediktinern dieser Zeit war es ganz normal, dass, wenn ein Adliger oder ein Reicher ins Kloster eingetreten war, er seine Privilegien behalten konnte. Auch die Gelehrten hatten in Klöstern eine wichtige Rolle inne. Alle diese Unterschiede hat Franziskus in einer revolutionierenden Weise definitiv aufgehoben. Wer in die Brüderschaft eintreten wollte, sollte seinen Adelstitel oder sein Vermögen in der Welt zurücklassen. In der Brüderschaft wurde er Bruder ohne Privilegien, gleich wie alle anderen Brüder.

  1. Franziskus und die Kirche: Gehorsam und Rücksicht Minorità-Minderheit

Franziskus hat wie ein Kind der Kirche sich wahrgenommen. Das ist ganz wichtig zu betonen, zu unterstreichen, zu bekräftigen. In seiner Ära gab es verschiedene Armutsbewegungen, die den Anspruch auf eine evangelische Armut hatten. Jedoch hatten diese Gruppierungen gegen die Kirche und ihren Reichtum protestiert. Mit ihrer Verkündigung haben sie praktisch immer die Kirche und die Art des Lebens der Kleriker kritisiert. Dazu waren sie dem Papst gegenüber immer ungehorsamer geworden, und oft hat sie der Mangel an Liebe zur Kirche in die Häresie geführt.

Franziskus war eine echte Ausnahme, die von Jesus direkt verursacht wurde. Wenn Jesus durch das Kruzifix von San Damiano zu Franziskus spricht: „`Franziskus, geh hin und stell mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist.`“, dann hat also Franziskus die Berufung von Jesus bekommen, das Haus des Herrn, die Kirche, wiederherzustellen. Deshalb liebt Franziskus die Kirche auch mit allen ihren Sünden, und er richtet nicht die Hierarchie, weil er verstanden hat, dass die Kirche das Haus des Herrn ist und diese Wiederherstellung nur durch die Liebe geschehen kann, nicht durch die Kritik. Oft hat er in der Regel und in anderen Schriften ermahnt und dazu aufgefordert, dass die Brüder nie über die, die reich sind, urteilen sollen, weil auch viele Brüder vor ihrem Eintritt ins Kloster reich waren und sich bekehrt haben. Das hilft uns zu verstehen, wie wir mit der Kirche umgehen sollen. Wie Franziskus sollen wir die Kirche lieben, und in der Liebe werden wir das Haus wiederherstellen.

Wie oft hat Franziskus in seinen Schriften ermahnt, dass die Brüder die Priester, auch wenn sie wegen ihrer Sünden unwürdig sind, verehren sollen: „Priesterlichen Händen, denen solch göttliche Macht verliehen ist, das Sakrament zu vollziehen, wollte er große Ehrfurcht erwiesen wissen. Häufig sagte er: ‚Wenn es sich träfe, dass ich einem Heiligen, der gerade vom Himmel kommt, und irgendeinem armseligen Priester zugleich begegnete, würde ich zuerst dem Priester die Ehre erweisen und mich sofort anschicken, seine Hände zu küssen. Ich würde sagen: O, gedulde dich ein wenig, heiliger Laurentius; denn die Hände dieses Priesters berühren das Wort des Lebens, und sie besitzen etwas, das über alles Menschliche hinausgeht.“  (Celano 2. Lebensbeschreibung K.52. n. 6)

Franziskus hat nie ohne die Erlaubnis des Pfarrers oder des Bischofs vor Ort gepredigt. Er wollte immer den Autoritäten untergeordnet sein, weil die Verkündigung ein Dienst der Kirche ist und die Brüder immer als die Minderbrüder die Niedrigsten sein sollen „Die Brüder sollen im Bistum eines Bischofs nicht predigen, wenn es ihnen von diesem untersagt worden ist. Und auf keine Weise getraue sich irgendein Bruder, dem Volke zu predigen, er sei denn vom Generalminister dieser Brüderschaft geprüft und bestätigt und es sei ihm von diesem das Predigtamt gestattet worden. Ich warne auch und ermahne diese Brüder, daß sie in der Predigt, die sie halten, wohlbedacht und lauter reden sollen (vgl. Ps 11,7, 17,31) zum Nutzen und zur Erbauung des Volkes, indem sie zu ihnen sprechen von den Lastern und Tugenden, von der Strafe und Herrlichkeit mit Kürze der Rede, weil der Herr auf Erden sein Wort kurz gefaßt hat.“ (Regola Bollata K. 9.)

  1. Franziskus in Bezug auf Martha und Maria

In der Schrift von Franziskus finden wir in Bezug auf Betanien die Regel für Einsiedeleien. Diese kleinen Klöster sollen mindesten aus drei Brüdern und maximal aus vier Brüdern bestehen. Zwei Brüder sind wie eine Mutter für ihre zwei Söhne und sie werden sich um sie kümmern. Franziskus betont, dass die beiden sozusagen Mütter seien so wie Martha von Betanien, die sich um Jesus gekümmert hat. Bethanien - Jesus bei Martha, Maria, LazarusDie beiden Söhne sollen ihre Zeit in der Zelle verbringen, um zu beten wie Maria von Betanien und um zu schlafen. Vom Sonnenuntergang bis 9 Uhr sollen sie in vollkommener Stille leben. Nach 9 Uhr am Vormittag dürfen sie das Stillschweigen lösen und beenden, sie können sprechen und zu ihren „Müttern“ gehen. Damit sind Martha und Maria für Franziskus Vorbild und Regel für eine Einsiedelei, wo die Liebe zu Gott durch das Gebet und das Hören von Gottes Wort praktiziert und auch der Dienst der Liebe von Martha von Betanien eingeübt wird. Später werden wir sehen, wie diese Elemente von Pater Pio und von Pater Pancrazio ausgelegt werden.

  1. Franziskus und die Schöpfung

Über das Thema der Bewahrung der Schöpfung wird Franziskus heute als Paladin von verschiedenen Parteien und Gruppen angesehen, die mit der katholischen Kirche nichts zu tun haben. In dieser Richtung sollen wir klar sein: Franziskus war kein Vorläufer der gegenwärtigen Ökologiebewegung. Überhaupt nicht. Ich werde ganz kurz etwas dazu sagen.Sonnengesang - Kloster Engelberg
Im Sonnengesang ist es nicht die Schöpfung, die die Hauptrolle spielt, sondern der Schöpfer, Gott. All diese Kreaturen mit ihren schönen Eigenschaften sind ein Spiegel der Schönheit Gottes. So lesen wir z.B. in den ersten beiden Strophen: „Du höchster, mächtigster, guter Herr, Dir sind die Lieder des Lobes, Ruhm und Ehre und jeglicher Dank geweiht; Dir nur gebühren sie, Höchster, und keiner der Menschen ist würdig, Dich nur zu nennen.
Gelobt seist Du, Herr, mit allen Wesen, die Du geschaffen, der edlen Herrin vor allem, Schwester Sonne, die uns den Tag heraufführt und Licht mit ihren Strahlen, die Schöne, spendet; gar prächtig in mächtigem Glanze: Dein Gleichnis ist sie, Erhabener“.
Die Sonne ist „von dir, Höchster“, ein Sinnbild. Und weiter singt er immer am Anfang von jeder Strophe: „Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne…“ (usw.)

Franziskus ist durch seine Beziehung zur Schöpfung und damit zu Gott Vorbild für die heutigen Generationen dadurch, dass sie über die Schöpfung Gott wahrnehmen können, und dann werden sie verstehen, dass sie die Schöpfung schützen und sie „bebauen“ können und sollen. Jeder von uns ist wie Franziskus Priester der Schöpfung, weil wir berufen sind, Gott zu loben durch die Schönheit der Natur.

  1. Hat Franziskus einen Orden gegründet eine Bewegung begonnen?

Bevor wir fortfahren, möchte ich eine Präzisierung machen: die Historiker fragen sich, ob Franziskus einen Männerorden gegründet oder eine geistliche Bewegung initiiert hat. Die meisten sind damit einverstanden zu erklären, dass die franziskanische Spiritualität so großartig und aktuell ist, dass beides zutrifft: Franziskus hat einen Männerorden gegründet und eine geistliche Bewegung ins Leben gerufen.

Was bedeutet es für die Franziskanische Gemeinschaft von Betanien, Franziskaner zu sein?

Ganz kurz erkläre ich etwas für diejenigen, die keine Kenntnis von Franziskanerorden haben. Die Kapuziner, die Minoriten und die braunen Franziskaner sind die drei Männerorden, die allgemein Franziskaner genannt werden. Aber nun möchte ich die franziskanischen Eigenschaften unserer Gemeinschaft aufzeigen und entfalten.[1]
In den ersten 34 Jahren seines Ordenslebens war Pater Pancrazio, unser Gründer, ein Laienkapuzinerbruder, danach wurde er 1973 zum Priester geweiht.
Pater Pio von Pietrelcina, geistlicher Vater von Pater Pancrazio, war ein direkter Mittler der franziskanischen Spiritualität für Pater Pancrazio. Sie trafen sich zum ersten Mal, als Pater Pancrazio 24 Jahre alt war. Die erste Beichte bei Pater Pio hat Pater Pancrazio für immer geprägt. Der Hinweis in der Beichte war ganz deutlich, den wir zusammenfassen mit dem Satz, den Pater Pancrazio uns immer wieder weitergegeben, überliefert hat:
Die Heiligkeit besteht nicht darin, Außerordentliches zu wirken, sondern das Gewöhnliche außerordentlich gut zu tun.
Das ist schon ein grundsätzlicher Bezug auf das einfache franziskanische Leben. Unsere Verpflichtungen, auch die kleinsten, sollen und wollen wir mit Liebe und mit Hingabe erfüllen. Das ist unsere Priorität auf unserem Weg zur Heiligkeit.

Das zweite Element der franziskanischen Spiritualität, das von Pater Pancrazio übertragen worden ist, ist ein Lebensprogramm. Pater Pancrazio fragte Pater Pio: „Pater, wenn Sie meine Zukunft anschauen (kennen), geben Sie mir bitte ein Lebensprogramm. Und nach einigen Tagen hatte Pater Pio die folgende Schrift Pater Pancrazio zukommen lassen:

Sei nicht so auf das Beschäftigt-sein Marthas bezogen, dass du darüber Marias Schweigen vergisst. Die Jungfräuliche Mutter, die sowohl die eine als auch die andere Aufgabe so gut miteinander in Einklang bringt, sei für dich sanftes Vorbild und Inspiration.

Nach Jahren (ca. 23 Jahren) verstand Pater Pancrazio, wie wichtig das Lebensprogramm war, weil es ein Programm nicht nur für ihn, sondern für alle war und ist, die in die neue Gemeinschaft eintreten.

Ok, und jetzt? Was hat das Programm zu tun mit Franziskus von Assisi? Das habe ich schon gesagt, als ich über die Regel für Einsiedeleien sprach. Die Brüder, die für eine bestimmte Zeit im Gebet und in der Stille leben möchten, sollen sich nach dem Vorbild von Martha und Maria transformieren.

Es ist ganz interessant, wie Franziskus die Rollen von Martha und Maria zum Vorbild nimmt und wie er sie mit den Rollen von Mutter und Sohn verknüpft:francesco-francescani-20160506174508 So wie Martha, die sich um Jesus kümmert wie eine Mutter um ihren Sohn, so soll sich ein Bruder um den anderen Bruder kümmern, der wie Maria im Stillschweigen lebt. Was können wir aus dieser Regel herausziehen? Natürlich sollen wir für eine richtige Auslegung immer präsent haben, dass diese Regel für Einsiedeleien gilt. Deshalb können wir nur einige Hinweise daraus entnehmen. Der erste ist, dass jeder Mitbruder die anderen Mitglieder wie eine Mutter aufnimmt. Franziskus denkt an eine mütterliche Aufnahme. Was meint er? Er meint damit nicht nur kochen und bügeln, sondern es bedeutet, sich um die Söhne kümmern. Das heißt, die Mütter hören ihren Söhnen zu, wenn diese von ihren Schwierigkeiten sprechen. Sie sollen jedermann fernbleiben, damit die Söhne in der Stille bleiben können und sie behüten vor unnötigen Reden. Dann befiehlt Franziskus, dass Mütter und Söhne sich in ihren Rollen abwechseln.

Das zweite Element ist das Stillschweigen von Maria von Betanien. Nach unserer Regel sollen wir von der Komplet bis zum Gebet des Heiligen Geistes die Stille einhalten. Aber es ist ganz wichtig, dass die Stille nicht nur eine Stille des Mundes sondern auch des Herzens sein soll. Das Stillschweigen sollte eine ständige Haltung des Herzens während des Tages sein, damit das Wort Gottes in jedem von uns Frucht bringt.

Diese Punkte sind gemein mit der Schrift von Pater Pio. Das Neue bei Pater Pio besteht in der Rolle der Mutter Gottes, die die beiden Rollen von Martha und Maria in sich vereint. Die Mutter Gottes, die auch von Franziskus sehr verehrt wurde, kann dieses Ideal leben und die Gläubigen lehren. Maria war für Franziskus und Pater Pio höchstes Vorbild dadurch, dass Kontemplation und Aktivität koexistieren können.

Gebet und Aufnahme sind die zwei Aspekte, die Pater Pio in seinem Leben erlebt hat: Aufnahme der Pilger durch die Sakramente der Beichte und der Eucharistie – und das ständige Gebet in der Stille, in dem Pater Pio ein wahres Vorbild war. Er hat durch diese Erfahrungen eine hinreißende Begegnung mit der Liebe Jesu.

Ich möchte jetzt nur ein einige von unseren Konstitutionen betrachten, in denen die franziskanische Inspiration für unser Leben ganz klar ist.

Wir können festhalten, dass unsere Konstitutionen durch Franziskus und seine Spiritualität geprägt sind. Im ersten Paragrafen unserer Konstitutionen wird Franziskus als Vorbild für die Mitglieder genannt. (Cost 1)

Und noch einmal ist Franziskus ein Vorbild für die Mitglieder in der Nachfolge Jesu. Der Par. 15 lautet: „Um den Stil des wahren Jüngers Christi zu lernen, soll man den seraphischen Vater (Franziskus) nachahmen. Man soll die geistlichen Schätze mit dem Leben und mit den Werken betreiben.“ (Cost 15)

Auch Pater Pio von Pietrelcina ist für die Gemeinschaft Vorbild, weil er vollkommene Nachahmung des gekreuzigten Christus ist, wie Franziskus es war. Wichtig sind die Schriften von Pater Pio und sein Leben.

In unseren Konstitutionen werden wir dazu angehalten (ermahnt), die Kirche intensiv (stark) zu lieben und mit ihr zusammenzuarbeiten. Wie wir schon gesehen haben, ist das ein wichtiger Aspekt der franziskanischen Spiritualität.

In den Diözesen, in denen wir wohnen, sind wir durch unsere prophetische und brüderliche Präsenz dazu berufen, unseren Beitrag zu ihrem Guten zu leisten. Dazu sollen wir durch unsere aufmerksame Zusammenarbeit (Kollaboration) alle Geistlichen verehren. (Test 6-9)

Das Kapitel über das geschwisterliche Leben drückt schon am Anfang unsere franziskanische Wurzel aus: Unsere Hingabe an das geschwisterliche Leben hat in unserer Berufung eine privilegierte Position, so lautet der erste Paragraph des Kapitels. Dann heißt es im folgenden Paragraphen:

Avendoci  Dio  donati  l’uno  all’altro  come  fratelli  e  sorelle  e  dotati  di  doni  diversi, impegniamoci a rinnovare ogni giorno la libera scelta di accoglierci vicendevolmente con animo riconoscente.
Perciò, dovunque viviamo, radunati nel nome di Gesù, siamo un cuore solo e un’anima sola, sempre intenti a camminare verso la perfezione.

Indem Gott den einen für den anderen als Brüder und Schwestern und mit verschiedenen Begabungen geschenkt hat, verpflichten wir uns jeden Tag unsere freie Entscheidung zu erneuern, uns gegenseitig dankbar anzunehmen.
Somit sind wir, wo auch immer wir leben, vereint im Namen Jesu, ein einziges Herz und eine einzige Seele, immer strebend nach der Vollkommenheit.

Der Paragraph ist typisch für die franziskanische Spiritualität. So schreibt Franziskus in seinem Testament: „…nachdem mir der Herr Brüder gegeben hat…“. Die Brüder wurden nicht von ihm gesucht, sondern sie wurden ihm direkt von Gott geschenkt.Brüder und Schwestern

Auch Pater Pancrazio hat immer gesagt: „Ja, Gott hat Franziskus am Anfang seiner Geschichte Brüder gegeben, und mir hat er Schwestern geschenkt.“

 

Die Franziskanische Gemeinschaft von Betanien erfährt zwei verschiedene Bewegungen in sich selbst: ab intra und ad extra / von innen heraus und nach außen gehend. Von innen heraus bedeutet: Geistliches Wachstum der Gemeinschaft kommt durch das Gebet sowohl durch das Gemeinschaftsgebet als auch durch das persönliche Gebet. Gemeinsames GebetUnser Gemeinschaftsleben wird geprägt durch das Gebet. Das werden wir noch sehen in der Katechese über das Gebet in unserer Gemeinschaft. Unsere Liturgie, d.h. Laudes, Sext, Vesper, Lesehore, Komplet kommen aus der franziskanischen Tradition. Wir feiern alle Feste und Gedenktage der Franziskaner und insbesondere der Kapuziner. Ich möchte auch hervorheben, dass unser Lobpreis, den wir donnerstags am Abend um ca. 18.15 Uhr beten, franziskanisch ist. Die Biografen des Hl. Franziskus berichten, dass er immer, allein im Wald, inspiriert vom Heiligen Geist, ein herzliches und emotionales Gebet zum Ausdruck gebracht hat (wie ich zuvor in der Biografie von Celano gelesen habe). In diesem Sinn betet die Gemeinschaft ihren Lobpreis mit spontan formulierten Gebeten und im Heiligen Geist. (Dazu seid ihr herzlich eingeladen!). Aber auch das Nachtgebet und die Eucharistie sind wichtig für das geistliche Wachstum der Brüderschaft. Unser Lebenszentrum ist die Heilige Messe, aus der die verschiedenen Gnaden für die Gemeinschaft, für die Kirche und für die ganze Welt kommen. Das Ziel des Gebetes ist immer, die Mitglieder in eine wahre und wesentliche Intimität mit Jesus zu führen, der unser Leben ist.
Gastfreundschaft Die „ad extra“-Dimension der franziskanischen Brüderschaft ist die Gastfreundschaft unseren Besuchern und Gästen gegenüber, die unser Kloster besuchen. Die Aufnahme der Gäste ist eine Frucht, ein Ergebnis unserer Beziehung zu Jesus und zueinander. Je mehr die Gemeinschaft eine besondere Einheit mit Jesus und unter den Mitgliedern erlebt, desto stärker erfahren unsere Freunde und Gäste die Kraft der Erlösung und der Liebe Jesu Christi.

Aber Franziskus ist für uns Meister der Brüderschaft auch durch die Einfachheit, die das Fundament für jenes menschliche und ehrliche Verhältnis und mit jener karitativen Aufmerksamkeit dem Bruder gegenüber ist, der immer Sakrament des auferstandenen Jesu ist. Die Vollkommene Freude von Franziskus ist auch für die Brüder und Schwestern der Gemeinschaft eine ganz wichtige Eigenschaft, die das wahre Zeugnis der lebendigen und belebenden Anwesenheit des Heiligen Geistes ist.


[1] Cfr. Pancrazio N. Gaudioso, L´esperienza di Fondazione della Fraternità Francescana di Betania, 17-18.


Die Katechese ist hier auch als PDF-Dokument verfügbar und kann heruntergeladen und ausgedruckt werden.