Die Gastfreundschaft in der Franziskanischen Gemeinschaft von Betanien
–  Ist Gastfreundschaft ein Weg Jesus zu begegnen?

Katechese von Bruder Nicola Curcio am 19. Februar 2017 – Die Gastfreundschaft in der FGBhier als pdf zum Download

Liebe Brüder und Schwestern, was bedeutet „Gastfreundschaft“ im Zusammenhang mit „Jesus begegnen“? Ich würde sagen, das sind andere Worte, um „Evangelisierung“ auszudrücken.

Wenn wir von Gastfreundschaft in der Franziskanischen Gemeinschaft von Betanien sprechen, oder von Gastfreundschaft im christlichen Gebiet überhaupt, dann hat das mit Charisma, mit einer Gabe des Hl. Geistes zu tun. D.h.: wir sprechen hier nicht von einer vagen Gastfreundschaft wie zum Beispiel von der Gastfreundschaft eines Hotels, eines Flughafens oder von anderen öffentlichen Orten usw… Unsere Gastfreundschaft hat als Ziel, die Begegnung mit Jesus zu fördern und zu bereiten.

In den menschlichen Beziehungen gibt es verschiedene Verhaltensweisen, die auf Gastfreundschaft hinweisen: die Höflichkeit, die Großzügigkeit, die Freundlichkeit, die gute empathische Fähigkeit – dies alles sind Eigenschaften, die uns annehmen lassen, dass wir es mit gastfreundlichen Menschen zu tun haben. Die Gastfreundschaft als Charisma schließt diese Eigenschaften bestimmt nicht aus, aber gleichzeitig ist sie  viel mehr. Sie bereitet nämlich den Weg für den Herrn, für die Begegnung, die das Leben verändert, die dem Leben eines Menschen seinen Sinn erschließt, die Freundschaft mit Jesus.

Wir werden folgendermaßen vorgehen:

  1. Die theologischen Grundlagen der Gastfreundschaft als Charisma
  2. Einige praktische Richtlinien der Gastfreundschaft als Charisma, die der Evangelisierung – der Begegnung mit Jesus – dienen

1. Die theologischen Grundlagen der Gastfreundschaft als Charisma

Vorerst ist die Gastfreundschaft die unentbehrliche Bedingung, um sich geliebt zu fühlen und sich so der Gegenwart Gottes zu öffnen. Nur wenn der andere mir bestätigt, durch Gesten und Worte, dass meine Anwesenheit für ihn eine Freude ist, auch wenn ich vielleicht nicht der Beste bin , fühle ich mich spontan wie „angetrieben“, mich zu öffnen. Ich glaube, etwas in dieser Richtung geschieht im Bekehrungsprozess eines Menschen.

Liebe Brüder und Schwestern, in welchen Situationen kann sich jemand bekehren wenn nicht in Situationen, in denen man sich wohl fühlt, man sich aufgehoben fühlt, geliebt und angenommen fühlt so wie man ist? Ist nicht etwas Ähnliches auch uns passiert? Hat Gott nicht auch uns so erobert? Er hat uns geliebt und ist für uns gestorben, sagt uns Paulus im Römerbrief, während wir noch Sünder waren, als wir noch seine Feinde waren.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir zurückdenken an den Moment unserer tieferen Bekehrung, an den Moment, in dem wir die Liebe unseres Gottes tiefer erfahren und verstanden haben, wo wir auf ganz besondere und außerordentliche Weise gespürt haben, von der Liebe Gottes empfangen zu sein, erkennen wir, dass wir nichts dafür gewirkt haben, um so viel Wohlwollen seitens Gottes zu verdienen. Im Gegenteil, wenn wir uns analysieren würden, würden wir eher Gründe finden, die uns verurteilen angesichts dieser unendlichen Liebe Gottes. Aber Gott empfängt uns, es heißt im Johannesevangelium: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15, 16). Noch besser hat das Johannes in seinem ersten Brief zusammengefasst: „Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat. Liebe Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander Lieben.“ (1. Joh 4, 10-11). Darin können wir die absolute Unhaltbar­keit des Empfangens Gottes angesichts unserer Armseligkeiten betrachten. Das Geheimnis des Empfangens der Sünder seitens Gottes ist das Geheimnis unserer Gastfreundschaft. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“, sagt uns Jesus im Matthäusevangelium (Mt 10, 8). Das ist der Sinn unserer Gastfreundschaft.

Liebe Brüder und Schwestern, denken wir an das Beispiel Jesu Christi, der sich im Jordan den Sündern anschließt, um getauft zu werden. Wie demütigend muss das für Jesus gewesen sein. Auch wenn Jesus nichts mit der Sünde zu tun hatte, mischt er sich unter die Sünder, als ob er einer von ihnen gewesen wäre. Oft ist uns die tiefe Bedeutung dieser Geste Jesu nicht bewusst, weil uns die damaligen Denkkategorien fehlen. Es ist ähnlich, wie wenn in der heutigen Zeit, in einer Kirche mit Beichtstuhl, an einem Nachmittag Beichtmöglichkeit ist, und sich eine Menge Leute anreiht, um beichten zu gehen, und auf einmal taucht Jesus auf und schließt sich an, wartet unter uns mit den anderen Sündern, um in den Beichtstuhl zu gehen. Mit Recht sagt der Täufer zu Jesus am Jordan: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ (Mt 3, 14). Es ist ähnlich – nicht identisch, aber gleichartig – wie wenn ich jetzt im Beichtstuhl sitzen würde und auf einmal kommt Jesus herein und die Lossprechung verlangt. Spontan würde ich zu ihm sagen: „Aber Herr, du solltest mir die Lossprechung geben, und du kommst zu mir“?

Somit ist die Gastfreundschaft vor allem eine unentbehrliche Haltung des Christen, der gerufen ist, barmherzig zu sein wie sein Vater im Himmel barmherzig ist, der gerufen ist seinen Vater im Himmel nachzuahmen. Jesus ist der Zeuge schlechthin, eines gastfreundlichen Gottes, eines Gottes, der sich Begegnung schafft, der sich vermittelt und zuhört.  Er macht sich zu einer vollkommenen Gabe und gleichzeitig macht er sich bereit, die Gabe des Anderen zu empfangen. Das bedeutet für uns „Gastfreundschaft“. Wir können nachvollziehen, wie Jesus in Betanien – im Hause Marias, Marthas und Lazarus – wie ein Freund, ein Bruder empfangen wird.

Anderseits schafft und schenkt in Betanien Jesus selber Gastfreundschaft. Er empfängt Gastfreundschaft in BetanienMartha, Maria und Lazarus wie drei Freunde. Er nimmt sie an, sowohl in ihren Stärken wie im stillen Zuhören, im  Dienst und in der Freundschaft, die sie ihm anbieten, als auch in ihren Schwächen wie der Gleichgültigkeit, der Eifersucht und der Krankheit. Die Gastfreundschaft ist die Fähigkeit, sich allen alles zu machen. Die Gastfreundschaft besteht in der Freiheit, sich bewusst ins Spiel zu setzen, in einer Art des Geistes der Armut – der typisch franziskanisch ist – wo man nichts zu verlieren hat, und bereit ist ohne Maske dem Anderen zu begegnen. Das lebt uns Jesus vor.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist die theologische Grundlage der Gastfreundschaft, das Verhalten Gottes uns Sündern gegenüber, das ist die Quelle der Inspiration, an welcher wir gerufen sind, mit Glauben zu schauen.


  1. Einige praktische Richtlinien der Gastfreundschaft als Charisma, die der Evangelisierung – der Begegnung mit Jesus – dienen

Wenn wir heute eine große Schwierigkeit in der europäischen Kirche sehen, besteht diese sicherlich in der chronischen Unfähigkeit, Gemeinschaft zu schaffen, Orte der Brüderlichkeit zu schaffen. Die Pfarreien scheinen ungeeignete Orte zu sein, ungeeignet dafür, die Gläubigen zu begünstigen, sich zu öffnen, untereinander ihre Glaubenserfahrung zu teilen und auszutauschen. Das führt die Christen dazu, ihren Glauben in der Einsamkeit zu leben, in einer Welt, die immer mehr Vorbilder anbietet, welche eigentlich gegen die Lehre Jesu strömen. Die Unfähigkeit, die Dimension der Gemeinschaft zu leben, die Kommunion zu leben, überträgt sich auch in das liturgische Leben der Gemeinschaft der Gläubigen.

Auf einer Seite beobachten wir heute die Tendenz in manchen Kirchen, eilige Messen zu feiern, als wolle man den Leute nicht zu viel Zeit wegnehmen. Man nimmt Teil an liturgischen Funktionen, denen nicht die Würde und die Achtung gegeben werden wie es sich gehört. Ich denke hier auch an das Sakrament der Versöhnung: es gibt zu viele Kirchen, in denen das nicht mehr anboten wird. Auf der anderen Seite – um sich von dieser Welle zu schützen – flüchten sich manche Gruppen , in einen übertriebenen und unzeitgemäßen Traditionalismus, sie tun dies in der Meinung oder Überzeugung, sie würden so die christlichen Werte retten. Sowohl die eine Tendenz, als auch die andere helfen uns nicht, die christlichen Werte auszuleben und zu überliefern. Das, was wesentlich ist, ist das „Sich zu Hause fühlen“, das Gemeinschaftsgefühl, das „Ich gehöre dazu- Gefühl“ der das Zusammenkommen – in der Liturgie, sowie bei anderen Treffen – uns beseelen muss. „Ich bin Bestandteil dieser Gemeinschaft“ – das ist Christentum, liebe Brüder und Schwestern, das rettet den christlichen Glauben und die Welt!

Das hat vor allem mit Gastfreundschaft zu tun, es hat zu tun mit der Fähigkeit, Menschen zu empfangen. Mit der Fähigkeit, die Menschen Nähe spüren zu lassen – auch wenn sie nicht die besten sind, auch wenn sie angeblich „Sünder“ sind.

Wenn wir das Evangelium lesen, entdecken wir die unglaubliche Fähigkeit Jesu, Sünder zu empfangen. Wir denken hier an Zachäus, an Levi, an die bekannte Szene mit der Sünderin, an die Begegnung Jesu mit Häretikern, zum Beispiel mit der Samariterin, mit Heiden, mit dem römischen Hauptmann, mit der syrophönizischen Frau, mit den Aussätzigen. Nach dem Verständnis des jüdischen Glaubens entsprechen diese alle den Kategorien von Sündern. Unglaublich ist die Anziehungskraft, die Jesus auf diese Menschen ausübt. Jesus schaut nicht auf ihr „Entfernt-Sein“, sondern er schenkt ihnen in dem Bewusstsein, wie Gott sie liebt und ihre Rückkehr erhofft, Würde, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Gehör, Versöhnung, so dass er ihre Herzen erobert.

Jesus verkörpert den Vater des Gleichnisses des barmherzigen Vaters, das uns allen sicherlich bekannt ist. Im Kapitel 15 des Lukasevangeliums hören wir davon: Nachdem der jüngere Sohn das gesamte Erbe des Vaters mit Dirnen und sonstigem Sündhaften verprasst hat und er zum Vater zurückkehrt, um in dessen Hause wieder aufgenommen zu werden, da heißt es: „Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm.“ „Er sah ihn von weitem“, liebe Brüder und Schwestern, der Sohn war nicht nur physisch weit, sondern auch im Herzen und in den Gedanken, er war völlig in den Lastern versenkt, in der Sünde. Aber der Vater wartete sehnsüchtig auf ihm. Das Warten des Vaters symbolisiert das Warten Jesu dem Sünder gegenüber, und irgendwie sollte dieses Warten auch uns Christen beseelen gegenüber denen, die sich von Gott entfernt halten.

Das ist das Ziel unserer Gastfreundschaft in der Franziskanischen Gemeinschaft von Betanien. Aber ich glaube, jeder Einzelne von uns ist als Christ aufgefordert, diese Art Gastfreundschaft zu schenken, denn darin werden wir unserem Herrn ähnlich.

Liebe Brüder und Schwestern, versuchen wir immer in uns die Haltung zu bewahren, bereit zu sein, um unserem Nächsten Gesten und Worte der Gastfreundschaft zu schenken, egal, wer er ist, unabhängig von der Person. Auch wenn der andere noch weit entfernt von Gott steht, d.h. auch wenn er noch keinen Bekehrungsprozess begonnen hat, auch wenn die Beziehung unseres Nächsten zu Gott noch unbeständig, voller Hindernisse und kompromissbehaftet ist, seien wir immer bereit ihn zu empfangen, denn nur diese aufmerksame Liebe kann ihn wirklich zu Gott gelangen lassen und für Gott gewinnen. Dieses Warten des Vaters bedeutet die Initiative unsererseits, dem anderen entgegenzugehen, den ersten Schritt zu tun. Weiter heißt es: „er hatte Mitleid mit ihm“, dieses Wort „Mitleid“ wird im griechischen Text mit „mütterliches Fühlen“ ausgedrückt, es weist hin auf den Schoß der Mutter, das ist die Mutterschaft der Gottesmutter. In unserer Gastfreundschaft geht es um diese Liebe, die Mutterschaft und Vaterschaft ausdrücken. In anderen Worten bedeutet das fortwährende Liebe, nicht eine Liebe, die nur in gewissen Momenten eingesetzt wird, sondern wie eine Mutter oder ein Vater gegenüber ihren Kindern soll die Liebe beständig sein, weil sie Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes ist, die immer währt.

Wie oft denken wir an die Mission auf der Grundlage von Projekten und Programmen! Wie oft stellen wir uns die Evangelisierung in Verbindung mit tausend Strategien, Taktiken, Manövern vor und meinen, dass die Leute sich aufgrund unserer Argumente bekehren. In der Logik des Evangeliums überzeugt man jedoch nicht mit Argumenten, Strategien und Taktiken, sondern einfach dadurch, indem man lernt, zuerst im Herzen zu beherbergen, Gastfreundschaft zu gewähren.

Die Kirche ist eine Mutter mit offenem Herzen, die aufzunehmen und zu empfangen versteht, besonders die, welche größerer Pflege bedürfen, die in größeren Schwierigkeiten sind. Die Kirche, wie Jesus sie möchte, ist das Haus der Gastfreundschaft. Und wieviel Gutes können wir tun, wenn wir uns dazu aufschwingen, diese Sprache der Gastfreundschaft, diese Sprache des Empfangens, des Aufnehmens zu lernen. Gastfreundschaft - empfangen und schenkenWie viele Wunden, wieviel Verzweiflung kann man heilen in einem „zu Hause“, wo einer sich willkommen fühlen kann. Darum muss man die Türen offen halten, vor allem die Türen des Herzens. Diese Haltung der Gastfreundschaft des Herzens ist wesentliche Voraussetzung, um die richtige Gemeinschaftsatmosphäre zu schaffen – egal ob jetzt bei uns in der Gemeinschaft, oder bei sonstigen Treffen, wo Gläubige sich versammeln – wo die Person, die auf der Suche ist, spontan sich getragen fühlt und bereit ist, sich zu öffnen und Jesus in den Sakramenten zu empfangen. Diese Erfahrung machen wir oft: wie die Freundschaften in der Gemeinschaft als Vorbereitung dienen, Jesus in den Sakramenten zu empfangen.

Wir können Gott nicht verehren, wenn der Bedürftige in unserem Geist keinen Platz hat. Gastfreundschaft gegenüber dem Hungrigen, dem Durstigen, dem Fremden, dem Nackten, dem Kranken, dem Gefangenen (vgl. Mt 25, 34-37), Gastfreundschaft gegenüber dem, der sich von Gott abgelehnt fühlt. Gastfreundschaft gegenüber dem, der nicht so denkt wie wir, Gastfreundschaft gegenüber dem, der keinen Glauben hat oder der ihn verloren hat – und manchmal durch unsere Schuld. Gastfreundschaft gegenüber dem Verfolgten. Gastfreundschaft gegenüber den verschiedenen Kulturen, Gastfreundschaft gegenüber dem Sünder, denn ein solcher ist auch jeder von uns.

Ja, liebe Brüder und Schwestern, seien wir aufmerksam und achtsam, unter uns andere Menschen nicht zu kritisieren! Stellt euch vor, wie schädlich es ist, wenn jemand sich dem Glauben durch unsere Glaubensgemeinschaft nähert, und dann hört er von Leuten, die die Gemeinschaft schon seit längerem besuchen, die von anderen der Gemeinschaft schlecht reden. Spontan ist man versucht zu denken, dass dieselben früher oder später auch über mich schlecht reden werden. Das ist ein „Gegen-Zeugnis“. Und vermeiden wir eine unbeständige Verhaltensart des Empfangens, der Gastfreundschaft, bzw. uns manchmal warm zu zeigen, dann kalt, dann wieder warm, das sind Verhaltensweisen, die die Leute von der Gemeinschaft, vom Glauben und letztendlich von Gott entfernen. Wenn wir uns nur in den Momenten gastfreundlich zeigen, in denen wir „gut drauf“ sind, dann setzen wir die Gastfreundschaft auf das Niveau der Leidenschaft herab. Gastfreundschaft, die Fähigkeit den anderen zu empfangen, ist dagegen aber eine Tugend. Die Tugend ist nicht von der guten oder schlechten Laune abhängig wie die Leidenschaft, sondern ist immer bereit zu handeln, denn sie ist dem Willen untergeordnet.

In der gleichen Weise sollten wir auf die Sympathien oder auch auf die Antipathien Acht haben. Vergessen wir nicht, was Jesus im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl dem Diener des Königs sagen ließ: „Geh schnell auf die Straßen und Gassen der Stadt und hol die Armen und die Krüppel, die Blinden und die Lahmen herbei“ (Lk 14, 21). Jesus zitiert diese Kategorien, um uns zu sagen, dass alle zum Hochzeitsmahl – zu der Begegnung mit ihm – eingeladen sind, alle ohne Ausnahme. Wenn wir auf jemand zugehen, sollen wir keine großen Unterschiede machen, gleich in welchem Gebiet: reich – arm, würdig – nicht würdig usw. Haben wir immer vor Augen, was uns Jesus erzählt bezüglich des Endgerichtes: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40). Und weiter sagt uns Jesus: „Wenn ihr nämlich die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten… denn der Vater lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5, 45-46). Gastfreundschaft bedeutet wie schon gesagt, beständige Liebe, die bereit ist, keine Unterschiede zu machen. Gastfreundschaft - schenken und empfangenDas ist nicht einfach: für eine solche Liebe muss man bereit sein, etwas von sich zu opfern; etwas wie Zeit, Energie, Aufmerksamkeit schenken, auch wenn man keine Lust hat, und das mit dem Risiko, dass jemand unsere Güte missbraucht. Auch damit  müssen wir rechnen. Das musste auch Jesus erfahren. Wie viele Menschen haben Jesus missbraucht? Und sogar wir selbst haben sicherlich schon Jesu Güte missbraucht. Doch haben wir keine Angst, wenn wir in diesem Prozess  Menschen begegnen, die unseren guten Willen missbrauchen, denn es gibt viele, die dank dieses guten Willens den Herrn finden werden. Ich mag mich erinnern an die Worte eines hl. Bischofs, der in den 90er Jahren gestorben ist, Don Tonino Bello, Bischof von Molfetta. Einmal durch die Erzählung der Begegnung von Jesus und den zehn Aussätzigen erklärte er, dass so wie in diesem Fall nur einer von zehn dem Herrn dankbar war für die Heilung und zurückkam, um sich zu bedanken, die anderen neun aber sich als undankbar erwiesen und nicht zurückkehrten. So kann es auch geschehen, wenn wir evangelikale Gastfreundschaft anbieten, den Menschen Gutes tun um des Evangeliums willen. Viele werden nicht zurückkehren, aber unter allen gibt es immer auch einige, die zurückkommen und bleiben.

So wächst die Anzahl der Menschen die sich der Glaubensgemeinschaft anschließen, so wächst die Kirche, so wächst das Werk Jesu in der Welt. Viele meinen, die Kirche hätte dieser Gesellschaft nichts mehr zu sagen. Ich glaube hingegen, dass wir dieser Gesellschaft sehr viel zu sagen haben. Wenn wir lernten, was es heißt „Gastfreundschaft“ zu leben für all diejenigen, denen wir begegnen, dann würden die Kirchen explodieren. Liebe Brüder und Schwestern, es herrscht so viel Einsamkeit in unserer Gesellschaft, so dass viele zum Glauben finden würden, wenn wir uns mehr Mühe gäben. Das heißt nicht unbedingt mehr tun zu müssen, sondern aufmerksamer zu sein.

Oftmals vergessen wir, dass die Einsamkeit oft den Weg zum Glauben bereitet. Eine Einsamkeit, die viele Ursachen, viele Gründe haben kann. Wie sehr zerstört sie das Leben und wie sehr schadet sie uns! Sie trennt uns von den anderen, von Gott und von der Gemeinschaft. Sie schließt uns ein in uns selbst. Daher soll das Eigentliche der Kirche, dieser Mutter, nicht in erster Linie darin bestehen, Dinge, Projekte in die Wege zu leiten, sondern darin, die Brüderlichkeit mit den anderen zu lernen. Die gastfreundliche Geschwisterlichkeit ist das beste Zeugnis dafür, dass Gott Vater ist, denn „daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13, 35).

Auf diese Weise eröffnet Jesus uns eine neue Logik: einen Horizont voller Leben, Schönheit, Wahrheit, einen Horizont der Fülle.

Liebe Brüder und Schwestern, Gott verschließt niemals Horizonte; Gott bleibt niemals passiv angesichts des Lebens, er bleibt niemals passiv angesichts des Leidens seiner Kinder. Gott lässt sich in seiner Großzügigkeit niemals übertreffen. Darum sendet er uns seinen Sohn, schenkt ihn, gibt ihn hin, teilt ihn mit uns, damit wir den Weg der Geschwisterlichkeit, den Weg der Hingabe lernen. Es ist ein entschieden neuer Horizont, es ist ein neues Wort für so viele Situationen der Ausschließung, der Spaltung, der Verschlossenheit, der Isolierung. Es ist ein Wort, welches das Schweigen der Einsamkeit durchbricht.

Und wenn wir müde sind oder die Aufgabe des Evangelisierens uns schwer wird, ist es gut, uns daran zu erinnern, dass das Leben, das Jesus uns vorschlägt, den tiefsten Bedürfnissen der Menschen entspricht, denn wir alle sind für die Freundschaft mit Jesus und für die Bruderliebe geschaffen.

Wie schön ist es, uns unsere Pfarreien, Gemeinschaften, Kapellen, in denen Christen sind, Offenheitwarum nicht auch unsere Häuser soweit möglich, nicht mit verschlossenen Türen, sondern als wahre Zentren der Begegnung unter uns und mit Gott vorzustellen! Als Orte der Gastfreundschaft und der Aufnahme.

Lieber ein „Unfall“, weil wir zu offen sind, als wenn gar nichts passiert, weil alles geschlossen bleibt. Wenn wir bereit sind offen zu sein, etwas zu riskieren, dann wird Gott uns gewiss gebrauchen, dann wird sich bestimmt etwas bewegen, vor allem, liebe Brüder und Schwestern, wir werden zuschauen wie Menschen, viele Menschen, den Weg zum Heil finden durch die Begegnung mit Jesus.

ZuwendungDer Hl. Geist stattet uns mit Gaben aus, um sie einzusetzen, um sie zu investieren. Die Evangelisierung ist nicht nur eine Sache der christlichen Bildung – das zwar auch, aber in einem zweiten Moment – sondern vor allem ist sie eine Sache des Herzens. Weil es um Menschen geht, und Menschen brauchen immer mehr als eine bloß technisch richtige Behandlung. Sie brauchen Menschlichkeit. Sie brauchen die Zuwendung des Herzens. Wir sollten immer mehr lernen, uns den andern mit dem Herzen zuzuwenden, so dass sie unsere menschliche Güte zu spüren bekommen. Deswegen brauchen wir neben christlicher Bildung vor allem Herzensbildung.

Es heißt im Evangelium vom Diener, der die fünf Talente bekommen hatte: „Sofort begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu“ (Mt 25, 16). Beginnen wir jetzt, wenn wir es bis jetzt noch nicht getan haben, mit den Talenten zu wirtschaften, die Gott uns gegeben hat. Gott hat alles unseren Händen, unserer Fantasie, Kreativität, unserer Liebe, unseren Fähigkeiten, unseren Worten anvertraut. Er wirkt auch heute an den Menschen nicht ohne uns, nicht ohne seine Kirche. Das ist die Würde, die wir haben. Und ich denke, es ist schon wichtig, dass wir uns dieser Würde immer wieder neu bewusst werden, damit wir ein freudiges Christenleben haben.

Wir möchten die Talente annehmen, die Gott uns gegeben hat und sie einsetzen, weil Gott sie uns für die Kirche und für die Gesellschaft anvertraut hat. Gott hat sie uns zu dem Zweck anvertraut, um dieser Welt das Antlitz eines gastfreundlichen Gottes zu offenbaren, der die Menschen tief liebt.

Die Kirche ist Mutter wie Maria. In ihr haben wir ein Vorbild. Beherbergen wie Maria beherbergt hat, die das Wort Gottes nicht beherrschte, noch sich seiner bemächtigte, sondern im Gegenteil es beherbergte, in ihrem Schoß trug und heranwachsen ließ.

 

 

Katechese von Br. Nicola Curcio am 19. Februar 2017